Donnerstag, 18. Oktober 2018
Unbesungene Heldin Dekanat Oppenheim: Nicht nur Oskar Schindler, sondern auch dessen Frau half tatkräftig verfolgten Juden. Artikel. Interesante crítica en un periódico alemán.
SELZEN. Der Film »Schindlers
Liste«, ausgezeichnet mit sieben
Oscars, machte den Fabrikanten
Oskar Schindler international
bekannt. Doch wer war der
Mensch, der hinter dem Mythos
steht, und wer die Frau an seiner
Seite?
Oskar war ein besonderer
Mensch. Er hat 2000 Tage
lang um das Leben
vieler Menschen gekämpft«, sagt
Erika Rosenberg in der Kirche im
rheinhessischen Selzen. Die gebürtige
Argentinierin ist auf Europareise,
um über ihre Recherche
zur Familie Schindler zu sprechen.
Dabei setzt sich die »Zeitzeugin
der zweiten Generation«
auch kritisch mit dem Spielfilm auseinander.
Rosenberg ist die Tochter jüdischer
Eltern, die 1935 aus
Deutschland geflüchtet waren.
Über Paraguay waren sie, Jurist
und Ärztin von Beruf, illegal nach
Argentinien eingereist. »Denn in
Argentinien herrschte zu dieser
Zeit ein Einreiseverbot für Verfolgte
der Nationalsozialisten, wie
beispielsweise Kommunisten,
Homosexuelle oder Juden«, informiert
die 1951 in Buenos Aires geborene
Professorin. »Ich selbst
bin aufgewachsen in einer Welt
der Versöhnung«, formuliert die
Historikerin. Immer schon an Geschichte
interessiert, hatte sie
sich 1990 vorgenommen, ein
Buch über argentinische Einwanderer
zu schreiben – auch deshalb,
weil hierüber in ihrer eigenen
Familie nicht gesprochen
wurde.
Bei ihren Recherchen traf die
Autorin in San Vincente in Argentinien
auf die verwitwete Emilie
Schindler (1907–2001). »Bei
meiner ersten Begegnung war ich
völlig ahnungslos, dass diese tapfere
Frau 1200 Menschen vor dem
sicheren Tod gerettet hatte«,
schildert Rosenberg. Im Laufe vieler
Gespräche entwickelte sich eine
Freundschaft zwischen den
beiden Frauen. Rosenberg publizierte
mehrere Bücher über das
Fabrikanten-Ehepaar. Besonders
am Herzen liegt der Biografin, das
Wirken der Schindler-Witwe bekannt
zu machen, die in der Öffentlichkeit
kaum wahrgenommen
wurde.
Mit Bildern aus dem Familienalbum
der Schindlers beginnt die
Präsentation »Gegen das Vergessen
unbesungener Helden – Emilie
und Oskar Schindler«. Ein Foto
zeigt Oskar (1908–1974) als jungen
Mann am Steuer eines Autos.
Dieses Bild charakterisiere ihn
gut, sagt Rosenberg, denn er habe
Autos, aber auch die Frauen geliebt.
Dennoch sei die Geschichte
des Paares auch die Geschichte einer
großen Liebe. Am 6. März
1927 heiraten die Schindlers im
heutigen Svitavy in Tschechien.
Der Fabrikant hatte
durchaus auch Schwächen
Mit fester Stimme liest die kleine
Frau aus ihrer Schindler-Biografie,
um verschiedene Szenen zu
veranschaulichen. Immer wieder
lädt die Journalistin und Autorin
zzu Fragen ein. Dabei kommen
auch Schwächen des Fabrikanten
– wie Frauenbekanntschaften, Beziehungen
zu Machthabern und
finanzielle Schwierigkeiten – zur
Sprache. So habe Oskar, »nachdem
er die hohe Mitgift verprasst
hatte«, 1935 eine Tätigkeit beim
Geheimdienst angenommen.
Nach dem Einmarsch der
Deutschen reiste der Geschäftsmann
im Oktober 1939 nach Polen
und intensivierte seine Beziehungen
zu befreundeten einflussreichen
Offizieren. Er erwarb eine
in Konkurs gegangene EmailleFabrik.
»Damit hat er den Grundstein
zur Rettung der Juden gelegt,
aber das wussten wir damals
noch nicht«, zitiert Rosenberg
aus der Biografie der SchindlerWitwe.
Durch große Aufträge der
Wehrmacht wuchs die Fabrik, die
unzerbrechliche Utensilien für
die Soldaten herstellte. Der charmante
Lebemann erwies sich als
geschäftstüchtig und erwirtschaftete
große Beträge, auch auf dem
Schwarzmarkt. »Er brauchte aber
auch viel Geld, um Nazis zu bestechen«,
referiert die Biografin.
Da das Emaillier- und Munitionswerk
als Rüstungsbetrieb anerkannt
wurde, durfte Schindler
jüdische Arbeiter anfordern.
Durch Tricksereien, Gefälligkeiten
und Verhandlungen, die ihm
immer wieder Verhöre durch die
Gestapo einbrachten, errang
Schindler weitere Vorteile für sie.
Jüdische Arbeiter, darunter Akademiker
und Kinder, habe
Schindler als unabkömmlich für
die Rüstungsindustrie eingestuft.
Ein Foto zeigt die bekannten Listen.
Vieles darauf war gefälscht,
um Juden zum Überleben zu verhelfen.
Emilie sei in der Fabrik für die
Verwaltung und die Lebensmittelverteilungen
zuständig gewesen,
sagt die Biografin. Ergänzend
berichtet sie von Menschen, die
sich in Notlagen erfolgreich an
die Fabrikanten-Gattin gewandt
hatten. Und kritisiert deren
fälschliche Darstellung im Holocaustfilm,
der ein Spielfilm, jedoch
keine Dokumentation sei.
Rosenberg schildert Episoden, die
im Film nicht vorkommen. Sie
spricht davon, dass die Frau
Schindlers 120 fast verhungerte
Juden im eisigen Kriegswinter
1945 gerettet habe, deren Transport
vor der Fabrik strandete: »Sie
organisierte ein Lazarett und hat
die Menschen selbst häppchenweise
gefüttert.«
Nach der Kapitulation floh das
Paar mit Unterstützung jüdischer
Freunde nach Deutschland, bevor
beide im November 1949
nach Argentinien ausreisten und
eine Farm in San Vicente bewirtschafteten.
Dort brachte Oskar
Schindler seine Geschichte, die
Grundlage eines Films werden
sollte, erstmals zu Papier. 1963,
inzwischen allein in Deutschland
lebend, verfasste er ein Drehbuch,
1967 wurde das Projekt jedoch
auf Eis gelegt. »In Hollywood
war die Zeit für deutsche
Helden einfach noch nicht reif«,
sagt Rosenberg.
Seit 1957 lebte Emilie lange
Zeit alleine und in einfachen Verhältnissen
in Argentinien. Die
Biografin kritisiert, dass die Witwe
von der erfolgreichen Hollywood-Produktion
aus dem Jahr
1993 nur einen sehr geringen finanziellen
Anteil erhalten habe.
»Weil ich an das Gute im Menschen
glaube, deshalb bin ich
hier, schließt die Schindler-Expertin.
»Verständnis und Liebe – das
verstehe ich unter Versöhnung.
Denn mit Hass erreichen wir
nichts.«
■ Erika Rosenberg (Hg.): »Ich, Oskar
Schindler. Die persönlichen Aufzeichnungen,
Briefe und Dokumente«;
2. Aufl.; Herbig Verlag 2001;
448 Seiten; 25 Euro.
■ Erika Rosenberg (Hg.): »Ich,
Emilie Schindler. Erinnerungen einer
Unbeugsamen«; 2. Aufl.; Herbig
Verlag 2001; 256 Seiten; 20 Euro.
■ Erika Rosenberg: »Oskar Schindler:
Seine unbekannten Helfer und
Gegner«; Lit Verlag 2012; 208 Seiten;
24,90 Euro.