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Gelebte Geschichte - Kein Widerspruch
03.05.2017 12:36 von A. Basler und Ph. Müller
Frau Professor Erika Rosenberg fühlte sich unter den Schülerinnen und Schülern sichtlich wohl.
Gelebte Geschichte – kein Widerspruch!
Geschichte lebt von Geschichten – und wenn diese Geschichten in der Person von Erika Rosenberg vor einem stehen, dann wird die nicht selten verstaubt anmutende Geschichte urplötzlich erleb- und spürbar. Erika Rosenberg hat erlebt, gibt Erlebtes weiter und weist mit deutlichem Fingerzeig aufs Nicht-Vergessen-Dürfen hin.
1951 in Argentinien als Tochter einer jüdischen Mutter aus Hamburg und eines jüdischen Vaters aus Berlin (ihre Eltern schafften es vor dem 2. Weltkrieg Deutschland zu verlassen) geboren, durchlebte Erika Rosenberg eine behütete Jugend, einzig die Nicht-Existenz von Grosseltern oder weiteren Verwandten ausser Eltern und Haustieren vermochte die unbeschwerte Jugend zu trüben. Es war schliesslich im Jahr 1990, als Erika Rosenberg die Bekanntschaft mit Emilie Schindler machte. Die Bekanntschaft wuchs zur innigen Freundschaft und zur Leidenschaft, sich als Historikerin mit der Geschichte des Holocausts zu befassen. Heute wohnt Erika Rosenberg in Argentinien und während ihren ausgedehnten Vortragsreihen in München setzt sich als Nachlassverwalterin von Emilie Schindler unermüdlich dafür ein, dass sich die Geschichte nicht wiederholen muss, dass dem Vergessen Einhalt geboten wird.
Einstiegsreferat
Gebannt und aufmerksam folgten die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen den Ausführungen Erika Rosenbergs. Rosenberg erzählte leicht und schlicht, die Inhalte waren tiefgründig und teilweise schwer verdaulich. Emilie Schindler – Freundin von Erika Rosenberg – durchlebte mit ihrem Mann, der Nachrichten-Offizier des Dritten Reichs war, sämtliche emotionalen Achterbahnfahrten der menschlichen Abgründe des Nazi-Regimes. Während Oskar Schindler als scheinbar folgsamer Mitstreiter der NSDAP über tausend Verfolgte vor dem sicheren Tod bewahrte, erlebte Emilie Schindler alle denkbaren Ängste einer Ehefrau, die wachsam Einblick in die historischen Veränderungen um sie herum und aber auch in die persönlichen Verstrickungen ihres Partners nahm. Entgegen der Darstellung im weltberühmten Film „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg, war sie aber nicht nur am Rande in diese Rettung involviert, vielmehr hat sie aktiv dazu beigetragen, dass dieser Coup tatsächlich gelang. Schön brachte dies Erika Rosenberg auf den Punkt: „Hinter einem starken Mann steht noch eine stärkere Frau.“
Workshops mit nationalem Fokus
Die anschliessenden Workshops liessen die Schülerinnen und Schüler eintauchen in die Geschichten von Emilie und Oskar Schindler, aber auch das Wirken der Schweizer Paul Grüninger und Carl Lutz wurde behandelt. Alle Workshops waren reich befrachtet mit Originaldokumenten aus der damaligen Zeit, so zum Beispiel eine Interviewsequenz mit Emilie Schindler, wo sie über ihren Beitrag bei der Rettung der Goleschauer Juden berichtet.
Paul Grüninger – Held gegen den Zeitgeist
Paul Grüninger war Polizeikommandant im Kanton St. Gallen und scheute sich nicht – entgegen dem Rechtsverständnis der frühen 40-er Jahre – mehrere Hundert Juden in die Schweiz aufzunehmen. Er rettete ihnen damit das Leben und zahlte es mit seiner Entlassung im Jahr 1941. Erst eine Aufarbeitung viele Jahre später mit korrekter historischer Einordnung vermochte Paul Grüninger Jahre nach seinem Tod zu rehabilitieren.
Carl Lutz – der vergessene Held
Carl Lutz war 1944 zweiter Mann an der Schweizer Botschaft in Budapest und rettete als Diplomat Zehntausende verfolgte ungarische Juden vor dem sicheren Tod. Mit diplomatischem Geschick schaffte es Lutz, die hilfesuchenden Menschen unter den diplomatischen Schutz der Schweiz zu stellen und so dem Kontingent – welch grausames Wort in diesem Zusammenhang – für die Emigration nach Palästina zuzuführen.
Oskar Schindler – Wohltäter aus ökonomischem Antrieb
Um für die Rüstungsindustrie des Dritten Reichs leistungsfähig zu bleiben, erwirkte Oskar Schindler die Unterbringung von Tausenden jüdischer Arbeitskräfte in seiner Arbeiterwohnsiedlung. Dadurch entriss er die Verfolgten dem Arbeitslager und somit dem sicheren Tod durch unmenschliche Ausbeutung. Mit dem diplomatischen Gespür eines Geschäftsmannes versicherte er sich das Vertrauen der SS-Führung vor Ort und reizte bewusst die Risiken dabei bis zum Äussersten aus. Dieses Handeln führte dazu, dass er sein ganzes angehäuftes Vermögen zur Rettung „seiner“ Juden hergab.
Emilie Schindler – im Schatten, das Licht
Emilie Schindler begleitete ihren Mann Oskar mit grossem Geschichtsverständnis und den Ängsten einer Ehefrau durch die wirren Zeiten des Dritten Reichs. Unantastbar dabei blieb ihre Haltung gegenüber dem Wirken gegen den Holocaust. Der späte freundschaftliche Kontakt zu Erika Rosenberg darf heute als grosser Glücksfall eingestuft werden. Das Nicht-Vergessen war Emilies Anliegen, es lebt in Erika Rosenberg als deren Nachlassverwalterin
Ausklang mit inhaltlichem Tiefgang
Die Pausenglocke wurde überhört, denn die Schlussworte Erika Rosenbergs, mit der inhaltlichen Einordnung weit über dem persönlichen Horizont, liessen einen die alltäglichen Rituale vergessen oder zumindest doch als wenig wichtig erscheinen. Applaus war – angesichts der Thematik – irgendwie fehl am Platz. Tiefer Respekt vor dem Lebenswirken und -inhalt der Referentin mag die getragene Besinnung eher besser beschreiben.
Dank und Ausklang
Es ist dem engagierten Geschichtslehrer Philipp Müller zu verdanken, dass Professorin Erika Rosenberg den Weg an die Kreisschule Mittelgösgen gefunden hat. Unter seiner Organisation wurden in derselben Kalenderwoche drei weitere Besuche an Schulen der deutschsprachigen Schweiz möglich. Der Besuch an der Kreisschule Mittelgösgen endete bei einem gemütlichen, feinen Nachtessen mit der Referentin, ihrem Mann sowie den Lehrpersonen Philipp Müller und Michael Bielser.
Die Schulleitung ist stolz auf das Engagement der Lehrpersonen, vor allem wenn es die Inhalte des Unterrichts so spür- und erlebbar macht!