Foto: COVER Verlag Herbig
Wem gehört der Koffer mit Schindlers Liste?
Erika Rosenberg berichtet Wichtiges über Oskar und Emilie Schindler
von Roland R. Ropers / Gastautor, Sonntag, 26. April 2015 16:27
Professor Dr. Erika Rosenberg hat sehr berührende Bücher über Oskar und Emilie Schindler [bekannt durch Schindlers Liste] geschrieben. In der Neuauflage von „Ich, Emilie Schindler“, legte sie schon 2006 Neues und Wichtiges über Emilie Schindler (1907 – 2001) vor, mit der sie befreundet war. Auf einer Lesereise für ihre Bücher sprach Erika Rosenberg darüber in München mit Roland R. Ropers.
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Erika Rosenberg, die Dolmetscherin, Journalistin und Buchautorin, die u.a. Diplomaten ausbildet, wurde am 24. Juni 1951 in Buenos Aires geboren. Ihre deutschen Eltern, Vater Jurist und Mutter Ärztin, flohen im Jahr 1936 wegen der beginnenden Judenverfolgung aus Deutschland nach Argentinien. Erika Rosenberg lebt seit langem die eine Hälfte des Jahres mit ihrem 78-jährigen Ehemann in Buenos Aires, die andere Hälfte vor den Toren Münchens. Unermüdlich ist sie im deutschsprachigen Europa auf Vortragsreisen, um Authentisches über die berühmten Schindlers zu erzählen.
Die Eheleute Oskar (1908 – 1974) und Emilie Schindler (1907 – 2001) gingen in den 1950er-Jahren nach Argentinien, denn im Nachkriegsdeutschland fanden sie keinen Platz für sich. Ihre Geschichten von den geretteten Juden interessierten damals allenfalls gerettete Juden. In der Nähe von Buenos Aires versuchte sich Oskar Schindler unter anderem als Biberratten-Züchter, jedoch erfolglos. 1957 kehrte er verbittert nach Deutschland zurück. Seine Frau blieb in Südamerika. Sie haben sich nie wieder gesehen, aber auch nie scheiden lassen. Oskar Schindler starb 1974 in Hildesheim. In seinem Totenschein ist Emilie Schindler als alleinige Erbin eingetragen.
Ein grauer Koffer taucht auf
Oskar Schindler, so sah es lange Zeit aus, hatte gar nichts zu vererben, am Ende war er mittelos und weitgehend allein. Er lebte in einem kleinen Zimmer am Frankfurter Hauptbahnhof und wurde schließlich von einem befreundeten Ehepaar aus Hildesheim in Pflege genommen, von Heinrich und Annemarie Staehr. 1999 berichtete die Stuttgarter Zeitung dann über den Fund eines grauen Koffers. Er war auf einem Dachboden der inzwischen ebenfalls verstorbenen Staehrs gefunden und von deren in Stuttgart lebendem Sohn vertrauensvoll an die Journalisten der Zeitung übergeben worden. Auf dem Adressanhänger stand: „Frankfurt am Main, Am Hauptbahnhof 4". Und auf der anderen Seite: „O. Schindler.“
In dem Koffer befand sich neben Abrechnungen, Fotos und Lageplänen auch die berühmte Liste.
Emilie Schindler, so stellt es Erika Rosenberg dar, hat von diesem Fund aus der Presse erfahren. Demnach wurde sie von der inzwischen 92 Jahre alten Witwe damit beauftragt, den Koffer in Stuttgart abzuholen und nach Buenos Aires zu schaffen. Als sie ins Büro des damaligen Chefredakteurs Uwe Vorkötter kam, war der Koffer aber schon weg. „Sie haben ihn nach Israel geschmuggelt“, behauptet Erika Rosenberg bis heute. Vorkötter und Yad Vaschem streiten das entschieden ab. Sie behaupten übereinstimmend, der Koffer sei hochoffiziell nach Jerusalem gelangt.
Emilie Schindler, vertreten durch Erika Rosenberg, hat damals die Zeitung verklagt. Vor dem Stuttgarter Landgericht kam es zu einem Vergleich. Schindler und Rosenberg mussten die Prozesskosten tragen. Die Zeitung überwies ihnen als "caritative Geste" eine symbolische Entschädigung von 25.000 D-Mark. Im Urteil steht, dass die Klägerinnen keine weiteren Rechtsansprüche geltend machen können.
Wer vertraute wem was an?
S
Erika Rosenberg gab trotzdem nie auf. "Ich bin trotzig", sagt sie. Mit diesem Trotz hat sie das Gericht in Jerusalem zumindest schon mal dazu bewegt, dass es Rosenbergs Klage gegen Yad Vaschem zuließ. Über 40 Jahre nach dem Tod Oskar Schindlers wird es dabei wohl oder übel auch um Einzelheiten aus seinem Privatleben gehen müssen.
Dass Schindler nicht die treueste aller Seelen war, ist historisch unumstritten. Am Ende lebte er offenbar in einer Art ménage á trois mit dem Ehepaar Staehr in Hildesheim. Heinrich Staehr war sein Arzt, Gattin Annemarie womöglich die letzte seiner zahlreichen Geliebten. Um zu klären, wem Schindlers berühmte Liste wirklich gehört, sind die Details aus diesem komplizierten Verhältnis entscheidend. Wer vertraute wem was an?
Laut Rosenbergs Version hat Annemarie Staehr den Koffer nach Schindlers Tod aus dessen Wohnung in Frankfurt geklaut. Die Gegenseite behauptet, Schindler habe den Staehrs den Koffer geschenkt. Deren Angehörige hätten die gute Absicht gehabt, die historischen Dokumente öffentlich zugänglich zu machen. Sie seien journalistisch ausgewertet, vom Bundesarchiv in Koblenz kopiert und schließlich wie vereinbart nach Israel geschickt worden. Alles sauber und transparent. Kompliziert sei die Geschichte erst mit dem Auftritt von Erika Rosenberg geworden.
Ein Prozess 70 Jahre nach Kriegsende
Erika Rosenberg 2915 in München
Foto: Roland R. Ropers
Doch Erika Rosenbergs Motive und ihre Integrität anzuzweifeln, das ist nur eine der Stoßrichtungen von Yad Vaschem im Kampf um die Liste. Vor Gericht soll auch klargemacht werden, dass es keinen anderen Platz geben kann als die Jerusalemer Gedenkstätte, um Schindlers Vermächtnis zu präsentieren und zu bewahren.
1962 hatte Schindler in Yad Vaschem persönlich einen Baum gepflanzt, mit dem in der Allee der Gerechten bis heute an seine Heldentat und seit 1993 zugleich an seine Frau Emilie erinnert wird. Und begraben liegt Oskar Schindler seinem letzten Willen gemäß auf dem Zionsberg in Jerusalem.
Aber den Prozess wird es erst jetzt geben, 70 Jahre nach Kriegsende.
Erika Rosenberg wurde Anfang des Jahres 2015 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, weil sie regelmäßig an deutschen Schulen Geschichtsvorträge über Oskar und Emilie Schindler hält und weil sie "mit ihren Büchern einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur in Deutschland" geleistet habe. So hat es jedenfalls Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Laudatio mitteilen lassen.
Im Gerichtssaal in Jerusalem wird ihr das Bundesverdienstkreuz vermutlich wenig helfen. Ihre Chancen sind ohnehin nicht allzu groß, das weiß Erika Rosenberg selbst. Aber nachgeben will sie nicht, niemals. Sie sagt: "Wenn das Urteil nicht in die Richtung geht, die ich mir wünsche, dann gehe ich woanders hin, bis zur letzten Konsequenz." Dann soll der Internationale Gerichtshof in Den Haag über Schindlers Liste entscheiden.
"Emilie Schindler war eine mutige Frau"
Erika Rosenberg schreibt: „Erst durch meine unmittelbare Intervention bei Bundespräsident Roman Herzog konnte immerhin eine 500-Mark Rente für Emilie erreicht werden. Die Beerdigung von Emilie Schindler in Bayern habe ich bezahlt. Die Stadt Berlin hätte ihr gerade einmal ein Armengrab angeboten.
In Steven Spielbergs Film ‚Schindlers Liste“ wird Emilie als Betrogene gezeigt. Eine Schande. Das trifft aber nicht zu, sie war eine ganz mutige Frau und hat beispielsweise einmal alleine einen Transport mit 120 hungrigen Juden vor dem sicheren Tod gerettet. Ihre Teilnahme war insgesamt grandios.
Es gab schon in den 1960er-Jahren den Plan, einen Film zu drehen, Oskar Schindler hat dafür selbst ein Drehbuch geschrieben. Schon alleine die Besetzung der Rolle von Emilie Schindler zeigt, dass dieser Film ihr eine ganz andere Bedeutung zugemessen hätte. Vorgesehen war der Weltstar Romy Schneider. Das komplett fertige Projekt wurde dann jedoch auf Eis gelegt.
Spielberg hat Emilie Schindler zu seinem Film niemals befragt. Nur für die Schlussszene wurde sie 1993 nach Israel eingeladen. Spielberg wollte nur einen Helden haben, nämlich Oskar. Spielberg lebt finanziell und in jeder Hinsicht in einer anderen Welt. Leute wie er haben den Bezug zur Realität verloren. Emilie hat von Spielberg nichts bekommen, kein Geld, kein Schreiben, kein Interesse. Nicht einmal nach ihrem Tod hat er ein paar Worte verfasst.
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Durch Emilie bin ich auf meine eigene Geschichte gekommen. Wenn man nicht weiß, woher man kommt, weiß man nicht wohin man geht. Unsere Beziehung entwickelte sich zu einer engen Freundschaft, die ich auch als symbolisch für die Versöhnung zwischen Deutschen und Juden betrachte. Kommunikation heißt letztlich Frieden“.
Anmerkung der Red.: Oskar Schindler hat im Zweiten Weltkrieg etwa 1200 Juden aus den besetzten Ländern Polen und Tschechoslowakei in seinen Rüstungsbetrieben beschäftigt und damit vor dem Tod im Vernichtungslager Auschwitz gerettet. Sie wurden auf mehreren Listen erfasst, die er den Nationalsozialisten vorlegte, wodurch die darauf genannten Juden unter seinen Schutz gestellt waren. Diese Liste „fähiger“ Insassen wurde als Schindlers Liste weltberühmt, u.a. verfilmt von Steven Spielberg. Siehe Wikipedia
Foto: COVER Verlag Herbig
Erika Rosenberg (Hrsgeb.)
Ich, Emilie Schindler
256 Seiten
Verlag Herbig, F A; Auflage: 2.,
veränd. Aufl. (1. September 2006)
ISBN-10: 3776625015
€ 20,00