Mittwoch, 11. November 2015

“Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr”, Bistum Eichstätt

 

 

28 AUS DEM Nr. 46 · 15. November 2015 BISTUM

Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr Erika Rosenberg aus Buenos Aires über ihre besonderen Begegnungen mit Jorge Mario Bergoglio Es war eine Nachricht in der argentinischen Tageszeitung La Nácion, die Erika Rosenberg 1998 aufhorchen ließ: Der Erz- bischof von Buenos Aires plante in der Kathedrale eine Gedenk- tafel für die Opfer des Holocaust anzubringen. Rosenberg, die deutsch-jüdische Wurzeln hat, fand die Ankündigung an sich schon bemerkenswert: „Die Kirche in Argentinien war in Sachen in- terreligiöser Dialog bis dato eher reaktionär“, erklärt sie im Gespräch mit der Kirchenzeitung. Auf Einladung der beiden Eich- stätter Gymnasien sowie der Katholischen Hochschulgemeinde und der Katholischen Erwach- senenbildung war Rosenberg zu einer kurzen Lesereise in der Bischofsstadt zu Gast. Sie beschloss damals: Ich gehe in den Gottesdienst und schaue mir das an. Ausgestattet mit Stift und Block ergatterte sie einen Platz in der ersten Reihe. Sie lauschte der Predigt von Jorge Mario Bergoglio und „nach fünf Mi- nuten habe ich gemerkt: er spricht sehr einfach und verständlich“. Weitere 15 Minuten später war die Schriftstellerin, Übersetzerin und Dolmetscherin „völlig begeistert“ von dem Jesuitenpater Bergoglio. „Die Predigt hat mich bewegt“, blickt Rosenberg beim Treffen mit der Kirchenzeitung im Kloster St. Walburg zurück auf die Ereignisse vor 17 Jahren. ER PREDIGT, WIE ER LEBT Ein paar Wochen später war sie in der argentinischen Hauptstadt mit der U-Bahn unterwegs und entdeckte den Erzbischof unter den vielen Fahrgästen. Sie schaffte es bis in seine Nähe, stellte sich vor und fragte ihn direkt: „Glauben Sie, es gibt eine An- näherung zwischen Christen und Juden?“ Bergoglio fasste sie am Arm und antwortete: „Ein guter Christ ist ja kein Antisemit.“ Danach rollte der Zug in einen Bahnhof ein und der Erzbischof stieg aus, nicht ohne Rosenberg noch einmal zuzuwinken. Wenn sie all dies erzählt, spürt man die Ein Buch über den Papst und die Biographie von Oskar Schind- ler zählen zu bergs Werken. Erika Rosen- Foto: Franzetti Begeisterung für diesen Menschen in ihren Worten und Gesten. Bergo- glio, der 2013 als Papst Franziskus von Buenos Aires nach Rom wechselte, hat die 64-Jährige in ihren Bann gezogen. Diese ersten, füchtigen aber intensiven Begeg- nungen ließen Rosenberg nicht mehr los. Immer wieder lief sie Bergoglio danach über den Weg, oft in der U-Bahn, aber auch bei offziellen Terminen. Das letzte Treffen vor der Papstwahl sei im August 2012 gewesen, berichtet sie. Nach der Wahl dann kam ihr schnell der Gedanke: Ich schreibe ein Buch, über diesen Menschen, „der lebt, wie er predigt“. Rosen- berg begann zu recherchieren und orientierte sich an einer berühmten Aussage des Oberhaupts der katho- lischen Kirche: Kirche muss an die Ränder gehen. In Argentiniens Hauptstadt habe er dies immer schon getan und so begab sich Rosenberg auf Spurensuche. Sie ging „zu den Ärmsten der Armen“, wie sie selbst sagt, ins Rotlichtviertel, in Slums, ins Ge- fängnis. Orte, an den Bergoglio „was geleistet hat, für die Menschen dort“. In ihrem Buch, das Anfang des Jahres unter dem Titel „Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr“ erschien, zeichnet sie – basierend auf diesen Interviews – das Bild eines Papstes, der für die Armen da ist. Er sei „ein ausgezeichneter Mensch“, fällt ihr ein weiterer Superlativ ein. Was sie als Jüdin besonders zu schätzen wisse: Sein Plädoyer für Versöhnung und Interreligiosität. Er habe 2010 ein Buch gemeinsam mit dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka veröffentlicht und eine Moschee in Buenos Aires besucht. Später als Papst sei er in Jerusalem zu den heiligen Stätten der Juden und Muslime gegangen, erzählt Rosenberg voller Begeisterung und Be- wunderung. Franziskus stehe für eine „Begegnungskultur“ und sei „ein ganz einfacher, offener und demütiger Mensch mit einem großen Herzen“. Bei der Arbeit zu ihrem Buch stieß sie auf Menschen, denen der frühere Erzbischof „die Würde zurückgegeben“ habe. Er habe alle zwei Monate in einem Rotlicht- viertel Gottesdienste gefeiert und vielen Leuten Mut gemacht. In ihrem Buch schildert Rosenberg die Geschichte der Prostituierten Isabella. Nach einer Messe bat sie den Erzbischof ihren Rosen- kranz zu segnen und sagte zu ihm, dass sie sich schlecht fühle und in Sünde lebe. Bergoglio habe ihr entgegnet: „Ich bin ein Sünder. Wir sind alle Sünder.“ Er habe der Frau Hoffnung gegeben und gezeigt: Auch du bist wichtig. Auf die Frage, ob sich Bergoglio, seit er das Papstamt bekleidet, verändert habe, entgegnet Rosen- berg resolut: „Ein Mensch in die- sem Alter ändert seine Ansichten nicht mehr. Das wäre ‚loco‘, also verrückt, wie man in Argentinien sagt.“ Sie ist noch immer zutiefst überzeugt von seiner Menschlich- keit und Bescheidenheit. Er sei ein Mensch, der nicht versuchen würde, andere zu überzeugen. Er respektiere jeden so, wie er ist. TREFFEN IN ROM Anfang September war Ro- senberg mit ihrem Mann José in Rom. Bei einer Generalaudienz mit Papst Franziskus hatte sie Gelegenheit ihm das Buch in ei- ner spanischen Übersetzung zu überreichen. Das Werk sei mit seiner Genehmigung entstanden und als Gesprächspartnerin und Augenzeugin habe sie in Buenos Aires auch mit Bergoglios Nichten Virna Bergoglio und María Inés Narvaja gesprochen, sagt Rosenberg. Über die erneute Begegnung mit Papst Franziskus schreibt Rosenberg in ihrem Blog: „Den heutigen Tag werde ich immer in Erinnerung behalten.“ Neben dem Buch gab sie dem Papst zwei Rosen, die sie im Auftrag seiner Nichten besorgt hatte. Der Papst bedankte sich und „bat mich für ihn zu beten, was ich jeden Tag sowieso tue, damit er gesund bleibt und auch seine Wünsche als Papst der Kirche erfüllt“, heißt es in Rosenbergs Internet-Tagebuch. Erika Rosenberg: Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr; Her- big-Verlag, München 2015, 20 Euro. Andrea Franzetti

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