Unser Abschied von Dessau am Bahnhof hatte an sich nichts Besonderes, nur das Übliche, wenn man sich von netten Menschen verabschiedet. Man denkt: Wieder so nette und liebe Menschen und dann muss man wieder weg und um so mehr freut sich auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr. Was niemand im Voraus ahnen konnte, war dass die Bahnfahrt mit dem ICE nach München von Naumburg eine Art Alptraum würde. Wir sind in den ICE voller Freude eingestiegen nach München zurückzufahren, wo wir ein bisschen “Heimat” haben, ein bisschen “Zuhause”. München ist unser Bezugsort in der Zeit, wo wir hier in Europa aufhalten. Nachdem ich mich mit meinem Mann José über dies und jenes austauschte, wollte ich mit der Struktur eines neuen Projektes starten. Also Laptop aus der Tasche herausnehmen, Akku anschließen, Steckdose unten am Sitz tasten, einstecken, Laptop starten, hochfahren. Plötzlich fiel mir auf eine Durchsage, Zugbegleiter zum Wagen 24, und wenn es möglich ist, mit einem Arzt. Wir hatten Platzreservierungen für den Wagen 21, die der gute Christof Bayer in Dessau freundlicherweise besorgt hatte, aber da unser Zug von Leipzig nach München weg war, waren die Plätze auch weg, also wir fanden zwei freie Plätze im Wagen 24. Ich musste zur Toilette und die zwei am Ende des Waggons waren defekt, also ich begab mich zum anderen Ende, in Fahrtrichtung. Ich glaube, das war mein Schicksal, das mitansehen zu müssen. Auf dem Boden lag ein Mann und man versuchte ihn zu überleben. Seine Frau weinte und zwei gutwillige Fahrgäste hielten ihre Hände. In Lichtenfels hielt der ICE und nach einer Weile kamen die Sanitäter, ein Arzt. Wieder eine Durchsage: “Wegen eines Unfalls konnte der Zug nicht weiterfahren, alle Passagiere mussten aussteigen. . . Es besteht die Möglichkeit mit der Regio nach Nürnberg. . . .”
Wir stiegen aus und schon am Bahnsteig fragte ich einen Schaffner, der auch aus dem Wagon ausstieg nach dem Befinden des Mannes: Es sah sehr schlecht aus! und nickte mit dem Kopf.
Schon in der brechen vollen Regio, die schon sowieso voll war, es war Feierabend , fiel uns sehr schwer einen freien Platz mit unserem großen Koffer zu ergattern. Meine Gedanken kamen und gingen in ungeheurem Tempo und dieser schreckliche Vorfall im ICE erinnerte mich an den plötzlichen Tod meines Vaters vor vielen Jahren in Buenos Aires. Ich war 9 Jahre alt und in jenem Sommer war ich auf einem Camping Platz mit anderen Kindern an den Bergen. Als ich zurückkam, war mein Vater tot. An einem 14.Februar 1960 verabschiedete er sich von meiner Mutti mit den Worten: Heute komme ich früher von der Arbeit zurück… Eine Stunde später schellte ein Polizist an der Tür und brachte die schreckliche Nachricht, mein Vater wäre tot. Er war auf der Straße “vor einer Klinik” umgefallen, die Ärzte in der Klinik wollten sich nicht kompromittieren lassen und haben ihn nicht sofort behandelt. Als der Krankenwagen kam, war jede Hilfe zu spät. Immer habe ich gedacht, wenn mein Vater in Deutschland gelebt hätte, hätte man ihn sofort behandelt.
Endlich kamen wir in München an. Mir ging es schrecklich. gestern Freitag hätte ich vieles machen müssen, aber alles hatte mich auf den Magen geschlagen und ich lag im Bett. Heute fühle ich mich wohler und sehe die Zukunft wieder voller Hoffnung entgegen.
Aus dem Tagebuch einer Autorin, die gedacht hatte, mit der Vergangenheit sei ein Schlussstrich. . .