Zeitzeugen in der Schule
:
Fehlt was auf Schindlers Liste
Erika Rosenberg, Biografin der Witwe Oskar Schindlers zu Gast in Neuerburg
Erika Rosenberg erinnert in ihrem Vortrag vor Schülern der Neuerburger
Realschule plus an den Holocaust und die Verdienste von Emilie und Oskar
Schindler bei der Rettung jüdischer Zwangsarbeiter vor dem Tod im KZ Auschwitz.
Foto: Uwe Hentschel
NEUERBURG Erika Rosenberg rückt in Neuerburg Fakten über
Emilie Schindler zurecht.
Von Uwe Hentschel
„Ich mache diese Tour als Zeitzeugin der zweiten
Generation“, sagt Erika Rosenberg, die gemeinsam mit ihrem Mann in Argentinien
lebt, dort auch geboren wurde, aber zwei Mal im Jahr nach Europa reist. Dort
kommt sie einer Aufgabe nach, zu der sie sich verpflichtet sieht. Die
Historikerin, deren jüdische Eltern 1936 vor den Nazis zunächst nach Paraguay
und von dort nach Argentinien geflohen sind, wollte vor gut 30 Jahren ein Buch
über deutsche Einwanderer in Argentinien schreiben. Dabei ist sie auch auf
Emilie Schindler, Ehefrau des deutsch-mährischen Unternehmers Oskar Schindler,
gestoßen.
Weltweit bekannt wurde der Geschäftsmann durch Steven
Spielbergs Hollywoodfilm Schindlers Liste aus dem Jahr 1993. Der mit sieben
Oskars ausgezeichnete Film würdigt den Einsatz Schindlers bei der Rettung
jüdischer Zwangsarbeiter. Auf mehreren, den Nazis vorgelegten Listen, erfasste
der Unternehmer die Namen der bei ihm beschäftigten jüdischen Zwangsarbeiter.
Schindler, in dessen Krakauer Emaillewarenfabrik unter anderem Kochgeschirr für
den Kriegsbedarf produziert wurde, gaukelte den Nazis die Notwendigkeit der auf
den Listen aufgeführten Zwangsarbeiter für die kriegsunterstützende Produktion
vor, um sie so vor dem sicheren Tod im Vernichtungslager Auschwitz zu retten.
Der Unternehmer opferte dafür nicht nur sein gesamtes Vermögen, sondern
riskierte zudem auch sein Leben. Was in dem Hollywoodstreifen aber viel zu kurz
kommt und auch Rosenberg im Vorfeld ihrer Recherche nicht bewusst war, ist die
Bedeutung von Schindlers Ehefrau Emilie.
„Insgesamt haben die Schindlers nicht nur die 1200 Menschen
auf diesen Listen gerettet, sondern bis Ende des Zweiten Weltkriegs insgesamt
rund 20 000 Menschen“, sagt Erika Rosenberg, die nun, mehr als 70 Jahre später,
im Rahmen ihrer Zeitzeugen-Tour in die Realschule plus Neuerburg gekommen ist,
um dort den Schülern etwas über ihre „beste Freundin“ Emilie Schindler zu
berichten.
1990 hat Rosenberg im Rahmen ihrer Recherche die Witwe des
1974 gestorbenen Unternehmers kennengelernt und interviewt. Die intensiven
Gespräche, bei denen mehr als 70 Stunden Tonbandmaterial zusammenkamen, waren
nicht nur die Grundlage für zwei Biografien über Emilie Schindler, sondern auch
der Beginn einer tiefverbundenen Freundschaft zwischen den beiden Frauen. „Ich
habe nicht über sie geschrieben, weil sie Juden, sondern weil sie Menschen
gerettet hat“, sagt Rosenberg.
„Anders als im Film dargestellt, war Emilie Schindler bei
der Rettung dieser Menschen von Anfang an dabei, hat sich um die gesamte Verpflegung
und die ärztliche Versorgung gekümmert, was zur damaligen Zeit eine enorm
schwierige Aufgabe war“, erzählt die Historikerin. „Schindlers Liste ist ein
ausgezeichneter Film, stammt aber nun mal aus der Traumfabrik Hollywood“, sagt
Rosenberg. Und deswegen seien einige entscheidende Details einfach ausgeblendet
worden.
Die echte Emilie Schindler ist in der Schlussszene des Films
zu sehen, in der sie einen der Steine auf das Grab ihres Mannes am Berg Zion in
Jerusalem legt. Während Oskar Schindler bereits 1957 wieder nach Deutschland
zurückkehrte, auf eigenen Wunsch aber in Jerusalem beigesetzt wurde, lebte
Emilie Schindler bis kurz vor ihrem Tod in Argentinien. Im Juli 2001 eröffnete
sie gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bonner Haus
der Geschichte eine Ausstellung, die sich ihrer Rolle im Widerstand gegen den
Nationalsozialismus widmete. In ihre Heimat kehrte sie danach nicht mehr
zurück. Am 5. Oktober 2001 starb die mit dem Bundesverdienstkreuz geehrte
Emilie Schindler in einer Klinik in der Nähe von Berlin infolge eines
Schlaganfalls. Zwei Wochen später wurde sie im bayrischen Waldkraiburg
beigesetzt.