Eine U-Bahn-Fahrt mit Franziskus
Neues Buch über den Menschen Bergoglio aus argentinischer Sicht – Korrespondentenbericht von Barbara Just
München, 13.03.2015 (KAP/KNA) Buenos Aires, am 13. März 2013: Erika Rosenberg macht gera-de eine Vorlesungspause für ihre Studenten. Auf dem Weg zum Kaffeeautomaten hört sie Geschrei von der Straße. Die Dozentin für angehende Diplomaten im Argentinischen Auswärtigen Amt vermutet zunächst eine der üblichen Protestkundgebungen, doch der Lärm entpuppt sich als Siegesgesang. Wie wenn Fans ihre Fußballmannschaft hochleben lassen, erklingen "O-le, ole, Francisco!"-Rufe. Ein Student ruft ihr zu: "Wissen Sie, dass Bergoglio zum Papst gewählt worden ist? Wenn das kein Grund zum Feiern ist."
Die jüdische Argentinierin mit deutschen Wurzeln lässt sich von der Euphorie anstecken. Denn mit Jorge Bergoglio, dem Erzbischof von Buenos Aires, ist ein Kardinal auf dem Stuhl Petri gelandet, den sie aufgrund seiner Aufgeschlossenheit gegenüber dem interreligiösen Dialog schätzt. Aus dieser Sympathie ist ein Buch über ihren Landsmann geworden. "Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr", heißt der Titel, der gerade im Münchner Herbig-Verlag erschienen ist.
Um mehr über den Menschen Franziskus zu erfahren, besuchte Rosenberg Weggefährten, Freunde und Familienangehörige. Auch ihn selbst traf sie mehrmals bei Audienzen in Rom, so dass er am Ende wohlwollend meinte: "Jetzt haben Sie alles für das Buch. Ich glaube, jetzt sind Sie damit fertig." Mit seinem Segen gaben ihr auch seine Nichten Auskunft, wobei sie erfuhr, dass der päpstliche Onkel nicht nur gern zum Telefon greift, sondern auch regelmäßig E-Mails schickt.
Die 63-Jährige zeichnet Bergoglios Lebensweg nach, vor allem aber gibt sie Einblick in sein Denken und Wesen. So wundert sich jedenfalls in der Familie von Franziskus niemand über seine Umtriebigkeit. "Wo der Onkel ist, geht es turbulent zu", sagt Nichte Maria Ines Narvaja. Die 47-jährige Tochter von Bergoglios Schwester Marta Regina ist selbst eine Powerfrau. Sie hat nicht nur eine Familie mit drei Kindern, sondern auch einen Doktortitel in Literaturwissenschaft.
Nach Ansicht ihres Onkels ist die Kirche für alle da. "Sie gehört allen, und der Onkel versteht es insbesondere jetzt als seine Aufgabe, diese offene Kirche darzustellen und zu zeigen, dass der Vatikan entgegen landläufiger Ansicht keineswegs die Kirche für sich gepachtet hat und die Deutungshoheit besitzt." Die Kirche, das seien die Menschen, und jeder Mensch führe zu Gott, führt Maria Ines die Gedanken von Franziskus weiter aus. Deshalb werde er auch nie ein "normaler Papst" sein. "Dazu ist er zu sehr gegen den Strich gebürstet. Man kann ihn nicht umpro-grammieren."
Schon als Jesuitenprovinzial habe der Onkel sie und ihre Geschwister wissen lassen: "Verliert nie die Freiheit zu sagen, was ihr denkt!" Selbst wenn dabei mal etwas Falsches oder Unpassendes herausgekommen sei, sei ihm das lieber gewesen, als nur Dinge zu äußern, die von ihm erwartet worden seien und niemandem wehtäten. All dies liest sich wie eine Erklärung für jüngste Ausreißer von Franziskus, etwa seinen Satz, dass Kinder in Würde gezüchtigt werden könnten oder sich Katholiken nicht wie Karnickel vermehren sollten.
Für seinen langjährigen Freund Santiago de Estrada hat Franziskus schon in Argentinien Führungsqualitäten bewiesen. Gerade wenn er glaubte, Werte und Prinzipien verteidigen zu müssen, habe er nicht geschwiegen. So wie er Bergoglio kennengelernt habe, erreiche der in der Regel, was er wolle. Dabei gehe er nie autoritär vor, sondern versuche, zunächst einen Konsens zu erreichen. De Estrada bescheinigt dem Papst taktisches Geschick.
"Franziskus macht die Welt einfach ein wenig wärmer, ein wenig barmherziger, ein wenig menschlicher", ist sich Rosenberg sicher. Das sei in der globalisierten Welt, mit ihrem gnadenlosen Konkurrenzdruck und der Zerstörung gewachsener Traditionen und Werte, eine ganze Menge.
Das Buch "Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr" von Erika Rosenberg ist im Münchener Herbig-Verlag