Donnerstag, 19. September 2013

Heldin ohne Denkmal

Von Matthias Bartl
Erika Rosenberg erinnert an die Taten und das Erbe von Emilie Schindler, die gemeinsam mit ihrem weltbekannten Mann Oskar 1 200 Juden rettete.

Köthen/MZ. 

Von der Straße Sanchez de Bustamante im Herzen von Buenos Aires bis in die Köthener Martinskirche sind es um die 13000 Kilometer. In der Straße in der argentinischen Hauptstadt ist Erika Rosenberg zu Hause - aber wenn ihr bei Vorträgen wie am Freitagabend in der Martinskirche solche Herzenswärme entgegenschlage, „dann denke ich, dass ich eine große Familie in Deutschland habe.“ Ein umso bemerkenswerterer Satz, wenn man die Geschichte der Familie Erika Rosenbergs kennt: Vater und Mutter flohen 1936 aus dem Berlin der Nationalsozialisten nach Paraguay und von dort nach Argentinien. Angesichts dieser Vita mag es nicht wundern, dass Drittes Reich und Holocaust Erika Rosenbergs publizistische Tätigkeit dominieren. Was sie dabei jedoch heraushebt, ist ein spezielles Lebensfeld: Erika Rosenberg ist die Biographin von Emilie Schindler.

Emilie Schindler ist die Ehefrau von Oskar Schindler. Dessen Name ist spätestens seit dem Spielberg-Film „Schindlers Liste“ weltbekannt. Emilie Schindler hingegen spielt sowohl im Film als auch in der öffentlichen Zurkenntnisnahme keine oder nur eine kleine Rolle. Ein Zustand, gegen den Erika Rosenberg seit Jahren anschreibt und ankämpft. Das Fazit ihrer langen Gespräche mit Emilie Schindler, die Erika Rosenberg 1990 in Argentinien kennengelernt hatte und deren Erbin sie wurde, und der nicht minder langen Recherchen, des intensiven Quellenstudiums ist klar: „Emilie Schindler hätte ohne Oskar nicht viel machen können, und Oskar ohne seine Emilie auch nicht.“

Viel machen können heißt in diesem Fall: Juden retten, die ohne die Schindlers ermordet worden wären, wie Millionen andere Juden auch von der SS, von den Einsatzgruppen, von der Gestapo. Das Leben eines europäischen Juden war in der Nazi-Zeit ständig in Gefahr und besonders dort, wo Oskar Schindler wirtschaftlich tätig war: im Osten. Zuerst im Krakau im so genannten Generalgouvernement und später in Brünnlitz im Nazi-Protektorat Böhmen und Mähren. In seinen beiden Fabriken, in denen er emailliertes Geschirr und Munition herstellen ließ, beschäftigte er Juden, die durch diese - also kriegswichtig deklarierte - Arbeit der Willkür der deutschen Besatzer weitgehend entzogen waren. Das alles ist schnell geschrieben, schnell gelesen - aber beide Schindlers gingen mit ihren Aktionen immer auch ein hohes persönliches Risiko ein.

Wenn Erika Rosenberg berichtet, detailliert, fakten- und kenntnisreich, emotional, dann wird sehr schnell deutlich, dass man über Oskar und Emilie Schindler zwar das Wichtigste weiß, wenn man den Film gesehen hat: Dass sie 1200 jüdischen Frauen und Männer das Leben retten konnten. Aber im Film erfährt man längst nicht alles, das zur Geschichte von Oskar und Emilie Schindler dazugehört. Zum Beispiel Schindlers Vorgeschichte als Lebemann, der für den deutschen Abwehrchef Admiral Wilhelm Canaris spionierte. Man erfährt nichts über die 120 Juden, die auf einem Transport halb erfroren und verhungert in Brünnlitz ankamen und in ein KZ abtransportiert worden wären, hätte Emilie Schindler sie nicht aufgenommen.

Erst recht lässt der Film die Nachkriegsgeschichte der Schindlers im Dunkeln. Die war gekennzeichnet durch existentielle Sorgen, durch die Auswanderung nach Argentinien, wo es ihnen auch nicht besser ging. 1957 ging Oskar Schindler nach Deutschland zurück und ließ Emilie in Argentinien allein, wo sie dank der Spenden jüdischer Vereine bescheiden leben konnte. „Lange Zeit hat sie von Spenden gelebt - mal zehn, mal 15, mal 20 Dollar“.

Erst zum Ende ihres Lebens kehrte Emilie Schindler wieder nach Deutschland zurück, wo sie 2001 im Alter von 93 Jahren in Strausberg bei Berlin verstarb. Beerdigt wurde sie im bayerischen Waldkraiburg - die Stadt Berlin hatte sich nur erboten, ein Armengrab zu bezahlen; „die Kosten für die Beerdigung in Waldkraiburg hat Erika bezahlt“, sagt Georg Kuropka aus Zscherndorf, der mit Erika Rosenberger befreundet ist. Und der am Ende der Veranstaltung, zu der die Kolping-Familie Köthen eingeladen hatte, nicht nur Worte des Dankes findet, sondern auch unterstreicht, wie wichtig es ist, an dieses Kapitel der Geschichte zu erinnern - und an das Erbe von Oskar und Emilie Schindler. Ein Erbe, das darin besteht, mutig zu handeln und Zivilcourage zu zeigen.

http://www.mz-web.de/koethen/zeitgeschichte-heldin-ohne-denkmal,20641024,24181550.html