5,0 von 5 SternenEin journalistisches wie biographisches Glanzstück
VonMatthias Edbaueram 24. Mai 2016
Format: Gebundene Ausgabe
Das Buch "Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr" spricht mich nicht nur als Katholik an, sondern auch als geschichtsbewussten Menschen und vor allem wegen der beispielgebenden Herzlichkeit, die von unserem jetzigen Papst Franziskus ausgeht!
Die Autorin ist wie der Papst Argentinierin, sie ist aber Jüdin und schreibt über das Oberhaupt der katholischen Christenwelt eine so mitreißende und bewegende Biographie. Das ist nicht nur bemerkenswert, sondern lässt dem Leser keinen Zweifel darüber aufkommen, dass mit einer wohlwollenden und neutralen Perspektive auf „Jorge Mario Bergoglio“ Papst Franziskus geblickt wird.
Rosenberg hat zahlreiche Weggefährten, Familienangehörige und Freunde von Jorge Bergoglio getroffen und ihre Berichte aus allen Lebensabschnitten bis in die aktuelle Gegenwart in einer spannungsgeladenen erzählerischen Form brillant zusammengeführt. Man erhält detailgenaue Auskünfte über das aufgeweckte Kind italienischer Auswanderer, über sein Berufungserlebnis und über den werdenden Jesuitenpater, über die langen Jahre des Studiums, die in der Jesuitenausbildung auch mit eigener Lehrtätigkeit verbunden sind; Bergoglio unterrichtete Literatur und Psychologie an verschiedenen Universitäten, er gab aber auch Religionsunterricht in den Elendsvierteln. Eine lebensbedrohliche Lungenkrankheit stellte alles in Frage; seinen Wunsch, als Missionar nach Japan zu gehen musste er allerdings aufgeben. Bereits wenige Jahre nach seiner Priesterweihe übersprang er mehrere Karrierestufen und wurde mit sechsunddreißig Jahren zum Provinzial ernannt, zum obersten Jesuiten Argentiniens. Seine Promotion über Romano Guardini zog sich hin und konnte letztlich aufgrund der vielen Aufgaben nicht vollendet werden. Seine Amtszeit war geprägt durch Spannungen mit den konservativen Repräsentanten aus seinem Orden, aus der argentinischen Kirche und der Politik. Sie endete 1979 mit seiner sukzessiven "Kaltstellung", die letztlich bis zur Abschiebung in die Hauptstadt der Provinz Córdoba führte. Schließlich erfährt man, wie er doch noch Weihbischof wird, dann sogar zum Erzbischof und schließlich zum Kardinal aufsteigt – alles vor dem Hintergrund der wechselvollen argentinischen Geschichte. Mit eindeutigen Belegen kann die Autorin nachweisen, dass Jorge Bergolio während des schlimmen Staatsterrors durch die Militärjunta des Generals Videla vielen helfen konnte, die verfolgt waren, und dabei auch sein eigenes Leben in Gefahr gebracht hat. Damit wird nachdrücklich Vermutungen widersprochen, Franziskus habe in seiner Zeit als argentinischer Kleriker mit dem Regime kollaboriert. Der Erzbischof Jorge Bergoglio war sich nie zu schade die Slums von Buenos Aires, die sog. Villas miserias, zu Fuß oder mit dem Bus zu erreichen, dort Messen zu lesen und mit den Ärmsten Matetee zu trinken. Rosenberg berichtet in diesem Zusammenhang von bewegenden Zusammentreffen und erzählt auch von der titelgebenden Begegnung mit dem Erzbischof in der U-Bahn.
Schließlich beschreibt sie den Papst Franziskus, der nicht erst in diesem höchsten Kirchenamt den interreligiösen Dialog zwischen Christen, Juden und Moslems fördert; sie schildert auch seine rigorose Gesellschaftskritik: gegen eine korrupte Politikerkaste in Argentinien und anderswo ebenso wie gegen die italienische Mafia, die in der berühmten Exkommunikation von 2014 gipfelte: "Diejenigen, die in ihrem Leben wie die Mafiosi diesen Weg des Bösen beschreiten, sind nicht in Gemeinschaft mit Gott. Sie sind exkommuniziert". Es wird deutlich, dass dieser Papst es nicht nur mit Worten ein Bewenden sein lässt, sondern auch tatsächliche Reformen anpackt: Sein Kardinalsrat K-9, mitunter auch als "Revolutionsrat" bezeichnet, bricht verkrustete Traditionen in der Vatikanhierarchie auf; Franziskus selbst gibt ein lebendes Beispiel für die Neudefinition des Petrusamtes im 21. Jahrhundert; er redet den Kardinälen in seiner „Weihnachtsohrfeige“ 2014 scharf ins Gewissen, womit er viele schockiert und verstört. Übrigens finde ich es ausgezeichnet, dass hierbei der schöne Vergleich vom abgestürzten Priester und dem Flugzeug aufgenommen worden ist, mit der Franziskus seiner Kurienschelte noch einen etwas versöhnlichen Abschluss gegeben hat: „Schlagzeilen machen sie nur, wenn sie abstürzen.“ Fazit: Mit diesem Werk wird authentisch der Mensch, der Geistliche und der Papst Franziskus einem großen Lesepublikum nahegebracht. – Dass vor allem der europäische Leser die Heimat Argentinien des Protagonisten wie der Biographin in all ihren gegensätzlichen Facetten kennenlernt, bereitete mir ein zusätzliches Lesevergnügen!
Als kleiner Wermutstropfen bleibt – für mich – nur, dass man seinen emeritierten Vorgänger Benedikt XVI. nicht gewürdigt hat, ihn in mehreren Stellen nur marginal als zu „akademisch“ und zu wenig volksnah betrachtet. Der Verfasserin darf man dies jedoch nicht zum Vorwurf machen, da wohl selbst im deutschen Sprachraum seine freilich recht anspruchsvollen Werke in – bzw. auch in katholischen – intellektuellen Kreisen bislang kaum gewürdigt werden, geschweige denn Wirkung zeigen.