NS-ZEIT
Erika Rosenberg traf Emilie Schindler zum ersten Mal 1990 in Buenos Aires, wohin die damals 83-jährige Schindler nach ihrem Aufenthalt in Regensburg (von 1945 bis 1950) ausgewandert war. Emilie Schindler lebte in einem kleinen Haus - "verarmt und vergessen von der Geschichte, den Überlebenden, von der Welt, und das, obwohl sie eine so große Leistung erbracht hatte", erzählt die Tochter von Holocaust-Überlebenden im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.
Die Biografin von Oskar und Emilie Schindler hat über viele Jahre mit Emilie Schindler gesprochen. In ihrem Vortrag über den "Mythos Emilie und Oskar Schindler", den sie mehrmals im Jahr an Schulen und Einrichtungen hält, gewährt Rosenberg einen persönlichen Blick auf das von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel als "Gerechte unter den Völkern" geehrte Ehepaar Schindler.
Vor allem die Menschlichkeit und Zivilcourage dieser Frau habe sie tief beeindruckt, sagt Rosenberg. Ob sich Emilie Schindler denn auch als Heldin gefühlt habe? Diese Frage verneint Rosenberg. Emilie Schindler habe immer gesagt: "Wir haben getan, was wir tun mussten."
Die Lebensleistung der Schindlers wurde 1993 im Westen bekannt, als der Hollywood-Blockbuster "Schindlers Liste" in die Kinos kam. Der mit sieben Oscars prämierte Film erzählt die Geschichte des deutschen Unternehmers Oskar Schindler - eines NSDAP-Mitglieds, der etwa 1200 Juden in seinen Fabriken in Brünnlitz und Krakau beschäftigte, um sie vor der Deportation und Ermordung im Vernichtungslager KZ Auschwitz-Birkenau zu bewahren. In der westlichen Welt, vor allem in Deutschland, sah man in den Film ein geeignetes Mittel zur Aufklärung über den Holocaust - und erzählte eine Heldengeschichte, die sie zweifelsohne auch war.
Doch Oskar Schindler erfuhr nach dem Krieg kaum Anerkennung von deutscher Seite. Er kehrte 1957 nach Europa zurück. Verarmt erhoffte er sich, für den Verlust seiner drei großen Fabriken mit etwa zwei Millionen Deutsche Mark entschädigt zu werden. "Er bekam 50.000 Mark und musste fünfeinhalb Jahre darauf warten", sagt Rosenberg.
Drehbuch verschwand in der Versenkung
Die Historikerin recherchierte jahrzehntelang die Geschichte der Schindlers, sprach mit 22 überlebenden Schindler-Juden und schrieb Bücher über diese beiden spannenden Persönlichkeiten, die unter Einsatz ihres Lebens Zivilcourage bewiesen. 1992 setzte sich Rosenberg in Berlin dafür ein, dass auch Emilie Schindler als couragierte Kämpferin für die Juden das Bundesverdienstkreuz erhielt - ihre Leistung zu honorieren hatte man nämlich vergessen. "1994 erhielt sie die Auszeichnung - in der Kategorie zweiter Klasse. Regisseur Steven Spielberg bekam für die Verfilmung das Verdienstkreuz erster Klasse", sagt Rosenberg.
Ihrer Darstellung zufolge soll bereits 1963/64 ein Drehbuch zur Verfilmung des Stoffs existiert haben, an dem Schindler selbst mitwirkte. Der Filmgigant MGM wollte den Film machen, mit Romy Schneider und Richard Burton in den Hauptrollen. Doch es kam nicht dazu. Die Zeit sei noch nicht reif gewesen "für einen Film über einen guten Deutschen", sagt Rosenberg. Das Drehbuch verschwand in der Versenkung.
Immer wieder habe sie die Frage bewegt, ob Oskar Schindler ein Nazi gewesen sei, erzählt sie. Die Antwort lautet für sie: Nein. "Man musste damals mit den Wölfen heulen, anders ging es nicht." Und dennoch habe er sich 2000 Tage lang, während des gesamten Kriegs, für die Rettung der Juden eingesetzt.
Schindler arbeitete für den Geheimdienst der Wehrmacht unter Wilhelm Canaris. Von daher besaß er Kontakte in hohe Führungszirkel. Seine distanzierte Einstellung zum NS-Regime aber wurde früh deutlich - nicht erst mit der Beschäftigung von Juden in seinen Fabriken. So soll Schindler laut Rosenberg bereits 1938 tschechische Juden im Kofferraum ins damals noch sichere Polen geschmuggelt haben.
Rosenberg wird nicht müde, die Geschichte der Schindlers zu erzählen. Zweimal im Jahr reist die Autorin über den Atlantik, um in Schulen und Einrichtungen über das Leben und Wirken der Menschen zu berichten, die Zivilcourage bewiesen haben. 1951 in Buenos Aires als Tochter von nach Argentinien geflohenen jüdischen Holocaust-Überlebenden geboren, lebt sie dort als Schriftstellerin und Historikerin. Als Grund für ihr Engagement nennt sie: Versöhnung. "Ich kann nicht verallgemeinern und sagen, alle Deutschen waren schlecht."