Freitag, 2. Dezember 2011

Geschichtsbild korrigiert

 

Professor Erika Rosenberg bei ihrer engagierten Lesung mit Erklärungen im Leibniz-Gymnasium. Foto: Spandler

ALTDORF – Auf Einladung des Deutsch- und Geschichtslehrers Tobias Wagner hielt die Historikerin Professor Erika Rosenberg aus Buenos Aires einen interessanten Vortrag im Leibniz-Gymnasium über das Leben des bekannten deutsch-argentinischen Ehepaars Schindler, das im Dritten Reich bekanntlich 1200 dem Tod geweihten Juden unter gefährlichsten Bedingungen das Leben rettete. Alle fünf neunten Klassen, insgesamt zirka 150 Schüler, hatten in den vergangenen Wochen den Film „Schindlers Liste“von Steven Spielberg aus dem Jahr 1993 gesehen und im Geschichtsunterricht besprochen.

So traf es sich bestens, dass mit Prof. Rosenberg eine ausgewiesene, wenn nicht die am besten informierte Schindler-Spezialistin gerade auf Vortragstour unterwegs war und sich Zeit nahm, aus ihrem Schindler-Buch zu lesen, den Kindern im freien Vortrag Informationen zu bieten, an Hand von Bildern zu veranschaulichen und schließlich auch Fragen zu beantworten.

„Lebemann“ Schindler

Sie begann ihren Vortrag mit der Herkunft des Ehepaares aus Mähren, las einige amüsante und interessante Passagen vom Kennenlernen der beiden und schilderte auch den Charakter des „Lebemanns“ Schindler, der nach der Eheschließung 1927 zunächst keine Lust hatte zu arbeiten und seiner Frau wohl auch nicht immer treu geblieben ist.

Dieser wie alle weiteren Abschnitte, die sie den interessierten Schülern vortrug, entstammen ihrem Buch „Gegen das Vergessen unbesungener Helden“, das auf der Basis der vielen Stunden, in denen sie sich mit Emilie Schindler in Buenos Aires unterhielt, entstand. Emilie war dort geblieben, während ihr Mann bereits 1957 nach Deutschland zurückkehrte, um sich seinen Lastenausgleich zu holen, woraufhin er nicht mehr nach Argentinien ging und 1974 verarmt in Deutschland starb. Doch auch EmiliesAussagen verifizierte Prof. Rosenberg an Hand eigener Forschungen.

1935 endlich ergriff Oskar Schindler einen Beruf. Um die etwas andere Geschichtsstunde abwechslungsreich zu gestalten, versuchte Rosenberg gelegentlich, die Schüler durch Nachfragen in das Vortragsgeschehen einzubeziehen.

So wollte sie von den jungen Leuten wissen, welchen Beruf Schindler wohl ergriffen hat. Doch keiner der Anwesenden konnte wissen, dass der sich zunächst bei der deutschen Spionageabwehr betätigte. Diese Mischung aus Macht und Gefahr habe dem jungen Mann wohl gelegen, meinte die Geschichtswissenschaftlerin. Seine Aufgabe bestand also darin, ausländische Spione in Polen und der Tschechei zu enttarnen.

Erstaunliche Tatsache dabei: Sein Chef war Admiral Wilhelm Canaris, der ebenso wie Schindler später auch eine Art Doppelleben führte. Denn auch diese Schlüsselfigur hat einerseits geglüht für Hitler, hat aber andererseits einen Rabbiner aus dem Ghetto gerettet, wurde später seines Amtes enthoben und 1945 wegen Hochverrats exekutiert.

Schindlers weiterer Lebensweg führte ihn nach Krakau, wo er 1939 eine Emaillefabrik übernahm, die vorher Juden gehört hatte. Da war er schon in der NSDAP, wohl weniger aus ideologischen Gründen, sondern weil er sich wirtschaftliche Vorteile davon erhoffte. Bald waren dort 250 polnische Arbeiter beschäftigt, unter ihnen auch Juden. Doch die Firma expandierte immer weiter, und nach einiger Zeit waren unter den 800 Beschäftigten 370 jüdische Mitarbeiter aus dem Krakauer Ghetto.

Emilie berichtete Schreckliches über das Leben dieser Menschen, das der reinste Horror gewesen sein musste. Es gab nicht genug zu essen, keine medizinische Versorgung, zu wenig Kleidung, keine Betten.

Allmählich erwachte in Oskar, aber auch in Emilie der Wunsch, möglichst viele der so geschundenen Menschen zu retten.

Denn kurz vor dem Kauf der Fabrik hatten er und seine Frau den brutalen Lagerkommandanten Amon Goeth kennen gelernt, der die Juden quälte, wo er nur konnte. Goeth war Chef des KZ Plaszow, aus dem etliche der Zwangsarbeiter kamen.

Falsches Bild

So wie Rosenberg mit dem falschen Bild der Emilie aufräumen konnte, die sich angeblich nur im Hintergrund hielt, so berichtete sie auch, dass Oskar den unmenschlichen Goeth zunächst gut leiden konnte und ihn sogar mit nach Hause brachte. Auch konnte sie belegen, dass Emilie und Oskar schon 1939 bis 1944 in Krakau zusammen lebten, nicht erst 1945, wie in den üblichen Geschichtsunterlagen angenommen wurde.

Gegen „Sklavenbehandlung“

Ihre eigene wesentlich aktivere Rolle bei den Hilfsaktionen beschrieb Emilie etwa an dem Beispiel, dass sie einem jüdischen Mädchen zur Abtreibung verhalf, was für sie selber äußerst gefährlich war.

Doch sie konnte die „Sklavenbehandlung“ nicht mehr mit ansehen. Und schließlich war auch Oskar Schindler überzeugt, dass er die Geknechteten dem Einfluss des brutalen Goeth entziehen musste. Daher forderte er Juden aus dem Lager an und kasernierte sie in einem privaten Unterlager bei seiner zweiten Fabrik, einer Rüstungsproduktion, wo er ihnen vergleichsweise bessere Bedingungen bieten konnte.

Zwischen 1941 und 1944 reiste Schindler heimlich nach Budapest, wo er sich mit jüdischen Organisationen traf und sie über die Ziele des Nationalsozialismus informierte, denn ab 1942 sprach man schließlich von der „Endlösung“. Nachdem die Räumung von Plaszow nötig wurde, weil die Rote Armee näher rückte, wurden über 20.000 Juden in Vernichtungslager gebracht.

Hier gelang es Schindler, das Oberkommando der Wehrmacht davon zu überzeugen, dass er seine Arbeiter weiterhin brauche, und rettete Hunderten dadurch ihr Leben – in Aktionen, bei denen Schindler, aber auch seine Frau mehrfach ihr eigenes Leben riskierten.

Die sichtlich beeindruckten Schüler interessierten sich zwischendurch für vieles („Wieso kommt Emilie bei dem Film so schlecht weg?“), aber auch für das Leben der jüdischen Professorin („Feiern Sie die jüdischen Feste selbst?“). Letztendlich war der Vortrag wohl nicht nur eine interessante Ergänzung des im Unterricht Durchgenommenen, sondern auch eine Lektion zum Thema Diskrepanz zwischen Film- und Geschichtswirklichkeit.

GISA SPANDLER

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