Die Wahrheit hinter „Schindlers Liste“
Emelie und Oskar Schindler retteten etwa 1 200 Juden vor dem Holocaust. Darüber referierte gestern die argentinische Historikerin Erika Rosenberg-Band vor Backnanger Schülern. Sie verband eine enge Freundschaft mit Emelie Schindler und begleitete die Frau bis in den Tod.
BACKNANG. Am Ende des Vortrages von Erika Rosenberg-Band, meldet sich eine Schülerin zu Wort: „Ich finde das sehr stark von Ihnen. Sie machen die besonderen Menschen erst besonders, weil sie darüber berichten.“ Die Schülerin bedankt sich damit für das Wissen, das die Historikerin Rosenberg mit den jungen Zuhörern teilt — und für ihre jahrzehntelange Recherche und Dokumentation über das Leben von Emilie und Oskar Schindler. Es ertönt zustimmendes Klatschen in der Aula. Die Leiterin der Bibliothek des Beruflichen Schulzentrums Backnang, Christiane Engelmann-Pink, kann diesem großen Lob der Schülerin nichts mehr hinzufügen. Sie hat diesen Vortrag in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert.
Die Schüler hatten zuvor den Film „Schindlers Liste“ im Unterricht angeschaut. Darin wird vor allem Oskar Schindler als reicher Fabrikant dargestellt und wie er die Juden vor der Ermordung durch die Nazis rettete, indem er sie als produktionsnotwendige Arbeitskräfte durchschleuste. Doch genau diesen Film kritisiert Rosenberg scharf: „Der Film ist eine tolle Produktion, aber er entfernt sich von der dokumentierten Geschichte.“ Kern ihrer Kritik ist, dass die Frau von Oskar Schindler nur eine Nebenrolle in dem Film spielt. Dabei hat sie ebenso ihr millionenschweres Vermögen wie ihr eigenes Leben gefährdet, um das Leben der jüdischen Gefangenen zu retten. „Hollywood brauchte wohl mehr das Bild von einem Mann als von einer Frau“, spekuliert die Historikerin über diese Ungerechtigkeit. Sie betont zweimal den folgenden Satz: „Emelie Schindler war eine tapfere Frau, nicht im Schatten von Oskar Schindler, sondern an seiner Seite.“
Die verzerrte Darstellung gipfelt für Rosenberg in der Tatsache, dass der Regisseur von „Schindlers Liste“, Steven Spielberg, 1998 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse erhielt für seine Shoah Foundation und seine Filmproduktion. Emelie Schindler hingegen erhielt 1995 für die Rettung der etwa 1200 Menschenleben das Bundesverdienstkreuz zweiter Klasse, also eine geringere Auszeichnung. Zudem habe Emelie Schindler nie ein Danke, nie eine Entschuldigung und auch kein Geld aus Hollywood erhalten, so Erika Rosenberg, die eng mit der Frau befreundet war. Als Emelie Schindler 2001 in Deutschland verstarb, kümmerte sich Erika Rosenberg um ihre Bestattung. „Nicht die überlebenden Juden, nicht die Bundesrepublik, nicht Argentinien, nicht Israel haben sich um ihre Bestattung gekümmert. Wo bleibt die Dankbarkeit“, fragt Rosenberg.
Um so besser, dass die Eheleute Schindler in Erika Rosenberg eine wahre Freundin gefunden hatten, die der Nachwelt die Informationen überantwortet, die sich auch dokumentarisch bestätigen lassen. Die beiden seien völlig unterschiedliche Charakterköpfe gewesen, erzählt Rosenberg. „Er war ein Lebemann, liebte alle Frauen, hat gerne getrunken, liebte schnelle Autos.“ Schnelle Autos, das waren damals solche, die 50 Kilometer pro Stunde erreichten. „Sie war ganz anders: Organisiert, diszipliniert und gläubig.“ Beide wuchsen im Sudetenland auf, das nach dem Ersten Weltkrieg zur Tschechischen Republik wurde. 1927 heirateten sie in Zwittau.
1939 übernahm Oskar Schindler eine stillstehende Fabrik bei Krakau. Laut Rosenberg sollen dort etwa 4600 Menschen gearbeitet haben, von denen etwa 1200 Juden waren — diese retteten Oskar und Emelie Schindler, in dem sie ihre Kontakte nutzten, und so bessere Lebensbedingungen für die Häftlinge ermöglichten. Zudem gelangten sie zu einer Genehmigung für kriegswichtige Produktion, und konnten dadurch die berühmte Liste mit benötigten Arbeitskräften erstellen, die sie so vor dem Tod in einem der Konzentrationslager bewahrte. Die Ansicht, dass Schindler die jüdischen Arbeiter zum eigenen Vorteil ausbeutete, weist Erika Rosenberg in ihren Schilderungen zurück. In der Nähe habe es das Arbeitslager Plaszow gegeben, das für jegliche Gefangene große Qualen und den sicheren Tod bedeutete. „Alle wollten zu Schindler“, sagt Rosenberg. Er habe die Menschen so gut behandelt wie er konnte. Genauso widerspricht Rosenberg der Annahme, dass Oskar Schindler ein Nazi gewesen sei. „Er war kein Nazi, sonst hätte er keine Juden gerettet“, zitiert Erika Rosenberg ihre verstorbene Freundin Emilie Schindler.
Rosenberg selbst ist die Tochter von deutschen Juden, die noch vor dem Holocaust 1936 nach Argentinien flüchteten. Die junge Erika Rosenberg fand über die Geschichten ihrer Eltern und ihr neugieriges Wesen Zugang zu historischen Themen. „Ich fand es spannend, wie die Geschichte unserer Vorfahren uns selbst beeinflusst.“ Als sie Emilie Schindler zum ersten Mal begegnete war sie 39, Emelie Schindler bereits 83 Jahre alt. „Eine selbstbewusste Frau, die aber schon arm und krank war, als ich sie kennenlernte“, sagt die heute 70-jährige Rosenberg. Sie begleitete die Frau bis zum Tod. Über Oskar und Emelie Schindler verfasste sie mehrere Biografien.
Der Vortrag der Historikerin in Backnang endete mit der Botschaft: „Das Wichtigste bleiben Zivilcourage und Menschlichkeit — damals wie heute.“ Dann würden auch Menschen wie Emelie Schindler, eine Heldin an der Seite ihres Mannes, mehr Dankbarkeit erfahren können.