Erika Rosenberg, die Biographin von Oskar und Emilie Schindler, spricht vor den Abschlussklassen der Goethe Schule über „besungene“ und „unbesungene Helden“ aus der Zeit der nationalsozialistischen Barbarei.
(Von Frank Forster)
Ein elegant gekleideter Mann, hoch zu Roß, das Parteiabzeichen deutlich sichtbar am Revers, das Gesicht wie festgefroren, Maschinengewehrsalven, Schreie, die Kamera schwenkt in eine dicht bevölkerte Straße, wo Menschen wie Vieh zusammengetrieben werden; Koffer, Wertsachen und Einrichtungsgegenstände fliegen aus Fenstern und von Balkonen auf den Asphalt, Wehrmachtssoldaten nehmen wahllos Erschießungen vor und über alledem – welch ein Kontrast! – beschwört ein jiddisch singender Kinderchor eine vergangene, heile Welt: „Ein Feuer brennt auf dem Herd und es ist warm in dem kleinen Haus“. Ein Farbfleck inmitten des schwarz-weiß gedrehten Schreckens: Man erkennt ein kleines Mädchen in rotem Mantel, das unbeachtet umherirrt. Die Kamera ist wieder bei dem Mann auf dem Pferd, seine entsetzten Augen folgen dem Mädchen. Es wird doch überleben! Spielbergs mit 7 Oskars prämiertes Meisterwerk verweigert seiner Hauptfigur den Gefallen. Allein bei der Räumung des jüdischen Ghettos von Krakau werden 2000 Juden auf bestialische Weise ermordet. Das Mädchen – so will es die Dramaturgie – ist ebenfalls darunter. In einer der nächsten Einstellungen wird Oskar Schindler es wiedersehen, leblos und verschmutzt auf einem Holzkarren, den man mühsam durch den Matsch zieht.
Jedem Zuschauer des Streifens sind diese Szenen im Gedächtnis eingebrannt, mit denen die Wandlung des Unternehmers und NSDAP-Mitglieds Schindler plausibel gemacht wird. War er zuvor mit der Absicht nach Krakau gekommen, möglichst schnell reich zu werden, so verwandelt er sich jetzt in einen Retter und Helden, der ebenso geschickt wie aufopferungsvoll darum kämpft, 1200 jüdische Zwangsarbeiter vor dem sicheren Tod zu bewahren. In einem zwanzig Jahre nach Kriegsende in Deutschland aufgezeichneten Interview erklärt er lapidar: „Ein denkender Mensch, der mit dem inneren Schweinehund siegreich fertig wurde, musste einfach helfen; es gab keine andere Möglichkeit.“
Die Schriftstellerin, Journalistin, Übersetzerin und Biographin Erika Rosenberg – 2015 erscheint ihre erfolgreiche Biographie „Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr“ auf Deutsch – hält an diesem Montagvormittag in der Aula der Goethe Schule einen Powerpoint-Vortrag über die Hintergründe des Films und führt anschließend mit den Schülern des 12. Jahrgangs einen Workshop durch. Ihre langjährige journalistische Auseinandersetzung mit dem Thema hat mittlerweile zu einer ganzen Reihe von Buchveröffentlichungen geführt, darunter: „In Schinders Schatten. Emilie Schindler erzählt ihre Geschichte“ (1997) und „Oskar Schindler: Seine unbekannten Helfer und Gegner“ (2012). Allerdings hegt sie einen entscheidenden Vorbehalt gegenüber dem Hollywood-Streifen:
Was Spielbergs Hauptfigur angeht, ist Erika Rosenbergs Einschätzung eindeutig: Ein „Halunke, Hasardeur, Bonvivant und Frauenheld“, der zwei uneheliche Kinder zeugte, es leidenschaftlich genoss im Mittelpunkt zu stehen, mit großer Leichtigkeit die Sympathien seiner Umgebung errang, ausgiebig dem Luxus frönte, sein Geld mit vollen Händen ausgab und im Geschäftlichen umsichtig wie scharfsinnig agierte, so dass keines seiner kostspieligen Geschenke und Bestechungen ihn selbst je in die Bredouille brachten. Wer sonst, wenn nicht ein gerissener Menschenfänger wie er hätte es fertig gebracht, den verrohten Lagerkommandanten Amon Göth – „Ich bin Göth, ich bin Gott!“ – derart für sich einzunehmen, dass er ihm nicht nur seine Sekretärin Ruth Irene Kalder unterjubeln konnte, sondern auch die Erlaubnis abtrotzte, die 1200 jüdischen Zwangsarbeiter seiner Emailwarenfabrik im eigenen Lager in der Lipowastraße in Sicherheit zu bringen.
Nach dem Krieg verlässt den Unternehmer das Glück. Das „Abenteuer“ Argentinien, 1949 mit seiner Frau Emilie begonnen, bricht er 1957 ab, um in Deutschland einen „Lastenausgleich“ für seine verlorengegangenen Firmen zu beantragen. Die 47 000 DM, die ihm statt der geforderten zwei Millionen ausgezahlt werden, sind schnell wieder ausgegeben. Wenig nützt ihm auch, dass sich Fritz Lang begeistert vom selbst verfassten Drehbuch über seine Erlebnisse in Polen zeigt – noch ist die Zeit nicht reif für einen positiven deutschen Helden. Erika Rosenberg entdeckt das Drehbuch vor knapp zwei Jahren in der Vanderbilt Universität, Nashville und stellt es an diesem Vormittag unseren Schülern zusammen mit einem umfangreichen Materialband, darunter natürlich auch die berühmte Liste, zur Verfügung. Schindler jedenfalls kommt nicht mehr auf die Beine, was immer er auch anstellt und bleibt bis zu seinem Tod, am 9. Oktober 1974 in Hildesheim, auf die finanzielle Hilfe seiner „Schindlerjuden“ angewiesen.
Als Erika Rosenberg 1990 das Haus von Emilie Schindler in San Vincente zu Recherchezwecken betritt, verwandelt sich, wie sie betont, für immer ihr Leben. Ohne zu zögern nimmt sie sich der gebrechlichen alten Dame an und das „bescheidene Wohnzimmer mit den kahlen Wänden und den alten Möbeln“ wird in den folgenden elf Jahren ihrer Freundschaft zu ihrem „Zuhause“; zum „ruhigen Ufer“, von dem sie „lange und rastlose Jahre“ geträumt hat. Von nun an betrachtet sie es als ihre Aufgabe, die Frau neben Oskar Schindler dem Vergessen zu entreißen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland sieht Emilie Schindler ihren Mann nie wieder und selbst von seinem Tode erfährt sie eher durch Zufall; ein Bekannter macht sie auf seine Todesanzeige in „La Nación“ aufmerksam. Die „Bekanntschaft mit Oskar verdanke ich der Elektrizität“, sagt sie ihrer Biographin, darauf anspielend dass ihr späterer Ehemann ihrem Vater, einem wohlhabenden Bauern aus Alt Moletein, im heutigen Tschechien, einst einen Elektromotor andrehte. Oskar Schindler ist die Liebe ihres Lebens, dies und ihre streng katholische Erziehung hätten es ihr nie erlaubt, sich von ihm scheiden zu lassen.
In seinem vielgepriesenen Opus magnum besingt Spielberg die Heldentaten Oskar Schindlers und übersieht dabei sträflich die Frau an seiner Seite. Als er sie zusammen mit den „Schindlerjuden“ für die letzte Szene seines Filmes nach Jerusalem einlädt, hält er sie gar für eine der Geretteten, während sie in Wirklichkeit eine entscheidende Rolle bei der Rettung spielte. Nicht nur, dass sie die ganze Zeit über in Krakau ist – als Schindler im Januar 1945 verreist, ist sie es, die 120 halbverhungerte Juden, die fast drei Wochen ohne Lebensmittel in einem Güterwaggon auf ihren Abtransport ins KZ gewartet haben, in der Fabrik aufnimmt und in einem eigens aufgebauten Lazarett gesundpflegt.
„Es ist eine große Ehre für mich, von der „Goethe Schule“ eingeladen worden zu sein“, erklärt Erika Rosenberg zum Abschluss der Veranstaltung und zeigt auf ihre goldene Ehrenmedaille mit dem grün gerahmten G der Schule, die sie an einer Kette um den Hals trägt, „immerhin habe ich hier von 1980-2001 als Lehrerin an der Humboldt-Akademie gewirkt und hier hat auch mein Sohn 1991 sein Abitur gemacht.“ Zum ersten Mal an diesem Montagvormittag müssen wir Frau Rosenberg korrigieren: Nicht sie, sondern wir haben allen Grund uns geehrt zu fühlen.