Die mediale Wirkung von Papst Franziskus
Frau Rosenberg, Sie haben ein Buch mit dem Titel
„Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr“ geschrieben und bei Ihren Recherchen viele
Weggefährten von Jorge Bergoglio interviewt. Was ist die einhellige Meinung
Ihrer Interviewpartner über Papst Franziskus?
Papst Franziskus war schon zu seiner Zeit als
Provinzial, Weihbischof, Erzbischof und Kardinal ein Mensch, der lebte wie er
predigte und immer nach Gerechtigkeit suchte. Er plädierte für den
interreligiösen Dialog, mahnte gegen Korruption und Ausbeutung, half Menschen
aus der Peripherie der Gesellschaft.
Die Faszination Franziskus ähnelt stark anderen
popkulturellen Phänomenen. Er wird von Millionen Jugendlichen angehimmelt wie
ein Popstar. Warum kommt er gerade bei jüngeren Menschen so gut an?
Warum sollten wir diese Faszination mit anderen ‚popkulturellen Phänomenen’
vergleichen. Papst Franziskus ist doch kein Popstar, denken wir bitte andersrum
- nämlich, dass die heutige Gesellschaft und die Jugend überhaupt keine
richtigen Vorbilder mehr haben und das ist der Grund, warum viele an Padre
Jorge hängen. Sie haben in ihm eine Art ‚wahren Wegweiser’ fürs Leben.
Sie schreiben, „dass er kein Blatt vor den Mund
nimmt... Er sagt, was er denkt, tut, was er glaubt tun zu müssen, und schreckt
selbst vor unpopulären Entscheidungen und provokanten Reden nicht zurück.
Vielleicht macht ihn genau das zum Medienstar“. Wie würden Sie diese mediale
Wirkung beschreiben?
In den letzten zwei Fragen reden Sie von Popstar, Medienstar. Franziskus
kann auch nichts dafür, dass er so handelt, wie er halt ist. Es ist die Welt,
die ihn beim Vergleich mit anderen Päpsten zum Mendienstar macht. Er hatte
immer Charisma, in Buenos Aires war er auch so, wo er keinesfalls als
Medienstar angenommen wurde. Ein klares und deutliches Beispiel war die
Kluft zwischen Regierung und Kirche. Die Kirchners haben ihm das Leben sehr
schwer gemacht. Zu der Zeit hatte er nicht nur Verehrer und Gönner, sondern
selbst in seiner Kirche viel Gegenwind. Und auch jetzt steht nicht die ganze
Kurie auf seiner Seite.
Franziskus setzt Zeichen. Zum Beispiel durch
seinen unprätentiösen Auftritt auf dem Balkon, als er sich der
Weltöffentlichkeit mit einem schlichten ‚Buona Sera’ vorstellte. Aber auch
durch Kleidung, Gesten und Verhalten macht er deutlich, dass er eine andere
Vorstellung vom höchsten Amt in der katholischen Kirche hat. Wie wichtig
schätzen Sie diese Zeichen für die mediale Wirkung von Papst Franziskus ein?
Er setzt schon viele Zeichen, aber diese Zeichen haben, meiner Ansicht
nach, nichts mit der medialen Wirkung zu tun. Dass es viele Menschen glauben
wollen, dafür kann er leider nichts. Wenn er einen unprätentiösen Auftritt auf
den Balkon hatte und zu der Weltöffentlichkeit schlicht ‚Buona Sera’ sagt - was
hätte er sonst sagen sollen: „Hier ist der Papst, hier bin ich! Hier habe ich,
nur ich, etwas zu sagen.“ ...Ich glaube, egal, was er gesagt oder gemacht hätte
– man hätte es so oder so gedreht, warum er sich so ausgedrückt hat. Er war und
ist ein ehrlicher Mensch ohne Schnörkel, ohne Heuchelei, er ist direkt und man
kann genau durchschauen, wohin er will. Mehr kann man von einem Menschen nicht
verlangen. Er ist loyal zu seinen Prinzipien.
Sie schreiben: „Die Gesten wurden quasi zu seinem
Markenzeichen. Prägnant und unverwechselbar.“ Welche haben Sie besonders
beeindruckt? Und welche Gesten erwarten Sie in Zukunft noch von Franziskus?
Fangen wir mit Ihrer letzten Frage an: Ich als Jüdin erwarte nichts von
Papst Franziskus in der Zukunft. Das ist eine Frage, die Sie besser an Christen
richten sollten. Ich hätte nichts zu erwarten.
Nun zu Ihrer ersten Frage: Was mich zu aller nächst besonders beeindruckt,
war sein Einsatz beim interreligiösen Dialog in Argentinien, seine
ständige Sorge um die Ausgeschlossenen in der Gesellschaft, sein Einsatz in der
Zeit der Militärdiktatur, in dem er Menschenleben gerettet hat, seine
Bescheidenheit und seine Demut. Seine Leistung und Seelsorge in den Slums, im
Gefängnis und bei den Prostituierten und Ausgebeuteten.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die
Namenswahl von Papst Franziskus?
Wie gesagt, als Jüdin kann ich in diesem Zusammenhang die Namenswahl von
Papst Franziskus nicht beurteilen, ich habe im Buch nur die historischen Fakten
der Namenswahl begründet und erwähnt.
Jesuiten leben in Bescheidenheit und selbst
gewählter Armut. Der Jesuit Bergoglio verzichtet als Papst Franziskus bewusst
auf – wie Sie es nennen – Attribute der Macht und des Reichtums wie die roten
Schuhe oder ein Leben im Palast. Was glauben Sie, welche Herausforderungen
werden im Vatikan auf ihn noch zukommen, die nicht mit seinem Jesuiten-Dasein
übereinstimmen?
Das Einzige, was ich in dieser Hinsicht sagen dürfte, ist: viele haben
große Angst, ihre Pfründe durch den demütigen und bescheidenen Jesuiten Bergoglio
zu verlieren.
Auch Papst Johannes Paul II., den Sie persönlich
kennen lernen konnten, hatte eine große mediale Wirkung. Wo sehen Sie den
Unterschied zu Papst Franziskus in der Medienwirkung?
Zu der Zeit von Johannes Paul II., der ausgerechnet die Jesuiten
ausgeschlossen und Leute von Opus Dei zu sich geholt hatte, gibt es einen
riesigen Unterschied. Außerdem sind es andere, historische Momente. Die
Sowjetunion gibt es nicht mehr, Polen gehört zu der EU... Es wechseln die
Zeiten, die riesigen Pläne... ‚Am Grunde der Moldau wandern die
Steine, es liegen drei Kaiser begraben in Prag’, wie
Bert Brecht einmal geschrieben hat - das berühmte Lied der Moldau.
Und welche Unterschiede machen Sie zu Papst
Benedikt XVI. fest?
Papst Benedikt XVI. war und ist ein hochrangiger, theologischer
Wissenschaftler, der ausgezeichnete Schriften, Bücher usw. verfasst hat und
sogar den Mut hatte zurückzutreten. Er hat auch den Mut gehabt, sich vehement
gegen die Pädophilie einzusetzen, hatte jedoch kein Charisma. Der liebe Gott
hat uns Menschen alle verschieden geschaffen. Nicht alle können die gleichen
Tugenden und Begabungen haben.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Benedikt
‚typisch deutsch’ regiert habe – sehr nüchtern und rational. Was ist Ihrer
Meinung nach dann ‚typisch argentinisch’ und das typisch Argentinische an Papst
Franziskus?
„Typisch argentinisch“ gibt es nicht, aber der Argentinier ist durch seine
Vorgeschichte und durch den Alltag anders geprägt als der Europäer. Er kann
gleichzeitig an viele Sachen denken, ist sehr kreativ und kann sogar aus dem
Nichts viel machen, wenn er will. Der jammert nicht mit vollem Bauch und
ist nicht melancholisch. Er kann auch viel improvisieren. Das kann ich von
Papst Franziskus nicht sagen, damit habe ich nur einen ‚typischen’ Argentinier
beschrieben.
Seine Nichte María Inés sagt über ihn „er ist
nicht papabile“. Andere aus seiner Familie meinen, es nicht möglich, Franziskus
auf „Papstkurs“ zu bringen, dafür sei er zu exzentrisch. Wie schätzen Sie diese
Aussagen ein?
Die Familie kennt ihn besser als ich und sie werden schon Recht mit ihren
Ausdrücken haben.
Sie sind Jüdin und großer Fan des Papstes, betont
er doch stets die Relevanz des interreligiösen Austauschs weltweit. Was gibt er
Ihnen als Jüdin? Und wie schätzen Sie seine mediale Wirkung über das
Christentum hinaus ein?
Ich bin doch kein Fan vom Papst. Er ist doch keine Fußballmannschaft oder
Rockband. Ich bin tief überzeugt von dem, was ich über ihn geschrieben und auch
recherchiert habe. Papst Franziskus soll mir als Jüdin „nichts geben“, er hat
mir als Mensch schon zu viel gegeben: Zuversicht, glauben, dass eine bessere
Welt möglich ist, Hoffnung. Was die Christen dadurch empfinden, weiß ich nicht.
Dafür sollten Sie ein Interview mit Christen führen.
Was hat Papst Franziskus bisher für den
interreligiösen Austausch getan? Bemerken Sie Veränderungen in der Einstellung
von Juden zur katholischen Kirche?
Er hat als Einziger in der Welt ein Buch zusammen mit einem Rabbiner
geschrieben und auch zum ersten Mal das Islamische Zentrum vor Jahren in Buenos
Aires betreten. Unikate für die Katholische Kirche in Argentinien. Er hat zur
Diözese immer Juden, Muslime, Buddhisten oder Protestanten eingeladen.
Wie schätzen Sie seine mediale Wirkung in Asien
oder Afrika ein?
Ich glaube nicht, dass man alles, was er macht, unter der Lupe der medialen
Wirkung betrachten kann. Heute ist er in Kuba, danach in USA... Er ist die
geistige Führung von Millionen Katholiken und muss überall hingehen. Da wo
Katholiken oder Andersgläubige sind, um daraus eine Kultur und
Religionsbegegnung zu etablieren.
Warum wird er auch von vielen Atheisten und
Kirchenfernen bejubelt? Liegt es an seiner Volksnähe? Wenn ja, wodurch zeichnet
sich diese aus?
Ein Mensch wie Papst Franziskus war und ist immer volksnah und in einem
Volk gibt es auch die Begegnungskultur. Alles andere wäre eine Ghettokultur,
abgekapselt, verkalkt und demodé.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass konservative
Kritiker Franziskus Aktionismus unterstellen. Wird es einen innerkirchlichen
Richtungskampf um den Ritus geben?
Ja, Nicht-Gönner gab, gibt und wird es immer geben, die das „Aggiornamento“
kritisieren, weil sie nicht imstande wären, mit einem ‚open-your-head’ zu
handeln.
„Wenn dieser Mann so weitermacht wie bisher, wird
er den religiösen Bereich transzendieren und zu einer moralischen Instanz
werden wie Nelson Mandela, Martin Luther King und Mahatma Gandhi“, schrieb die
spanische Zeitung „El Pais“. Kann Papst Franziskus solche medialen Erwartungen
erfüllen oder nur an ihnen scheitern?
Meiner Ansicht nach wird Padre Jorge bestimmt in der Geschichte bleiben.
Scheitern wird er nie. Ich bin Jüdin, das dürfte ich daher nicht sagen, aber:
ist Jesus gescheitert?
Für Ihr Buch haben Sie auch Santiago de Estrada
interviewt, der bekennender Katholik ist und ehemaliger Botschafter beim
Vatikan und Sozialminister in verschiedenen argentinischen Kabinetten war. Er
spricht von einem „ungeheurem Vorteil“ von Jorge Bergoglio: „Er verfügt über
eine außergewöhnliche Begabung und hat keine Angst.“ Wie wichtig schätzen Sie
dies für die tägliche Arbeit von Papst Franziskus und für die mediale
Berichterstattung über ihn ein? Auch vor dem Hintergrund, dass der zurzeit so
gefeierte Papst zukünftig vielleicht auch einmal medialen Gegenwind erfahren
könnte.
Dass Papst Franziskus keine Angst hat, ist schon bekannt. Einmal fragte ich
Emilie Schindler, deren Biographin ich auch bin, ob sie vor den Nazis bei der
Rettung der 1.200 Juden Angst hatte. Sie antwortete: Ich hatte keine Angst.
Angst ist immer ein schlechter Begleiter. Ich glaube kaum, dass Papst
Franziskus sich vor den Medien bangt, was man über ihn sagen oder schreiben
könnte. Er ist völlig überzeugt von dem, was er tut und macht es daher aus
ganzem Herzen.
Man müsse Politik als „eine der höchsten Formen
der Nächstenliebe“ wiederentdecken, hat Bergoglio gefordert. Wie ist das aus
Ihrer Sicht einzuschätzen?
Am 28.03.1995 hatte ich einen Empfang bei Frau Dr. Rita Süssmuth in Bonn.
Bei unserem Gespräch sagte sie zu mir: Frau Rosenberg, Sie haben ein sehr
interessantes politisches Buch geschrieben über Emilie Schindler. Ich erwiderte
sofort, dass das Thema Schindler für mich kein Politikum sei, sondern die
moralische Aufgabe von zivilcouragierten Menschen, Unterdrückte zu retten und
zu unterstützen. Ich denke heute genauso. Ich glaube, nicht alles ist Politik!
Sie schreiben, dass Papst Franziskus für Sie die
Hoffnung auf eine bessere Welt ist. Wie sieht diese bessere Welt aus und was
kann der Papst dazu beitragen?
Diese Welt scheint in jedem Moment zu explodieren, denn der Mensch hat
immer noch nicht verstanden, dass Kriege nur zur Zerstörung der Menschheit
führen. Martin Buber hat gesagt: Da, wo das Wort scheitert, beginnt der Krieg!
Daher müssen wir immer weiterhin miteinander reden und uns verständigen. Das
ist eben, was Papst Franziskus tut.
http://sinnstiftermag.de/ausgabe_20/titelstory.htm