Freitag, 4. März 2016

INTERVIEW ÜBER PAPST FRANZISKUS

Die mediale Wirkung von Papst Franziskus
Frau Rosenberg, Sie haben ein Buch mit dem Titel „Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr“ geschrieben und bei Ihren Recherchen viele Weggefährten von Jorge Bergoglio interviewt. Was ist die einhellige Meinung Ihrer Interviewpartner über Papst Franziskus?

Papst Franziskus war schon zu seiner Zeit als Provinzial, Weihbischof, Erzbischof und Kardinal ein Mensch, der lebte wie er predigte und immer nach Gerechtigkeit suchte. Er plädierte für den interreligiösen Dialog, mahnte gegen Korruption und Ausbeutung, half Menschen aus der Peripherie der Gesellschaft.
Die Faszination Franziskus ähnelt stark anderen popkulturellen Phänomenen. Er wird von Millionen Jugendlichen angehimmelt wie ein Popstar. Warum kommt er gerade bei jüngeren Menschen so gut an?
Warum sollten wir diese Faszination mit anderen ‚popkulturellen Phänomenen’ vergleichen. Papst Franziskus ist doch kein Popstar, denken wir bitte andersrum - nämlich, dass die heutige Gesellschaft und die Jugend überhaupt keine richtigen Vorbilder mehr haben und das ist der Grund, warum viele an Padre Jorge hängen. Sie haben in ihm eine Art ‚wahren Wegweiser’ fürs Leben.
Sie schreiben, „dass er kein Blatt vor den Mund nimmt... Er sagt, was er denkt, tut, was er glaubt tun zu müssen, und schreckt selbst vor unpopulären Entscheidungen und provokanten Reden nicht zurück. Vielleicht macht ihn genau das zum Medienstar“. Wie würden Sie diese mediale Wirkung beschreiben?
In den letzten zwei Fragen reden Sie von Popstar, Medienstar. Franziskus kann auch nichts dafür, dass er so handelt, wie er halt ist. Es ist die Welt, die ihn beim Vergleich mit anderen Päpsten zum Mendienstar macht. Er hatte immer Charisma, in Buenos Aires war er auch so, wo er keinesfalls als Medienstar  angenommen wurde. Ein klares und deutliches Beispiel war die Kluft zwischen Regierung und Kirche. Die Kirchners haben ihm das Leben sehr schwer gemacht. Zu der Zeit hatte er nicht nur Verehrer und Gönner, sondern selbst in seiner Kirche viel Gegenwind. Und auch jetzt steht nicht die ganze Kurie auf seiner Seite.

Franziskus setzt Zeichen. Zum Beispiel durch seinen unprätentiösen Auftritt auf dem Balkon, als er sich der Weltöffentlichkeit mit einem schlichten ‚Buona Sera’ vorstellte. Aber auch durch Kleidung, Gesten und Verhalten macht er deutlich, dass er eine andere Vorstellung vom höchsten Amt in der katholischen Kirche hat. Wie wichtig schätzen Sie diese Zeichen für die mediale Wirkung von Papst Franziskus ein?
Er setzt schon viele Zeichen, aber diese Zeichen haben, meiner Ansicht nach, nichts mit der medialen Wirkung zu tun. Dass es viele Menschen glauben wollen, dafür kann er leider nichts. Wenn er einen unprätentiösen Auftritt auf den Balkon hatte und zu der Weltöffentlichkeit schlicht ‚Buona Sera’ sagt - was hätte er sonst sagen sollen: „Hier ist der Papst, hier bin ich! Hier habe ich, nur ich, etwas zu sagen.“ ...Ich glaube, egal, was er gesagt oder gemacht hätte – man hätte es so oder so gedreht, warum er sich so ausgedrückt hat. Er war und ist ein ehrlicher Mensch ohne Schnörkel, ohne Heuchelei, er ist direkt und man kann genau durchschauen, wohin er will. Mehr kann man von einem Menschen nicht verlangen. Er ist loyal zu seinen Prinzipien.
Sie schreiben: „Die Gesten wurden quasi zu seinem Markenzeichen. Prägnant und unverwechselbar.“ Welche haben Sie besonders beeindruckt? Und welche Gesten erwarten Sie in Zukunft noch von Franziskus?
Fangen wir mit Ihrer letzten Frage an: Ich als Jüdin erwarte nichts von Papst Franziskus in der Zukunft. Das ist eine Frage, die Sie besser an Christen richten sollten. Ich hätte nichts zu erwarten. 
Nun zu Ihrer ersten Frage: Was mich zu aller nächst besonders beeindruckt, war  sein Einsatz beim interreligiösen Dialog in Argentinien, seine ständige Sorge um die Ausgeschlossenen in der Gesellschaft, sein Einsatz in der Zeit der Militärdiktatur, in dem er Menschenleben gerettet hat, seine Bescheidenheit und seine Demut. Seine Leistung und Seelsorge in den Slums, im Gefängnis und bei den Prostituierten und Ausgebeuteten.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Namenswahl von Papst Franziskus?
Wie gesagt, als Jüdin kann ich in diesem Zusammenhang die Namenswahl von Papst Franziskus nicht beurteilen, ich habe im Buch nur die historischen Fakten der Namenswahl begründet und erwähnt.
Jesuiten leben in Bescheidenheit und selbst gewählter Armut. Der Jesuit Bergoglio verzichtet als Papst Franziskus bewusst auf – wie Sie es nennen – Attribute der Macht und des Reichtums wie die roten Schuhe oder ein Leben im Palast. Was glauben Sie, welche Herausforderungen werden im Vatikan auf ihn noch zukommen, die nicht mit seinem Jesuiten-Dasein übereinstimmen?
Das Einzige, was ich in dieser Hinsicht sagen dürfte, ist: viele haben große Angst, ihre Pfründe durch den demütigen und bescheidenen Jesuiten Bergoglio zu verlieren.
Auch Papst Johannes Paul II., den Sie persönlich kennen lernen konnten, hatte eine große mediale Wirkung. Wo sehen Sie den Unterschied zu Papst Franziskus in der Medienwirkung?
Zu der Zeit von Johannes Paul II., der ausgerechnet die Jesuiten ausgeschlossen und Leute von Opus Dei zu sich geholt hatte, gibt es einen riesigen Unterschied. Außerdem sind es andere, historische Momente. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, Polen gehört zu der EU... Es wechseln die Zeiten, die riesigen Pläne... ‚Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es liegen drei Kaiser begraben in Prag’, wie Bert Brecht einmal geschrieben hat - das berühmte Lied der Moldau.
Und welche Unterschiede machen Sie zu Papst Benedikt XVI. fest?
Papst Benedikt XVI. war und ist ein hochrangiger, theologischer Wissenschaftler, der ausgezeichnete Schriften, Bücher usw. verfasst hat und sogar den Mut hatte zurückzutreten. Er hat auch den Mut gehabt, sich vehement gegen die Pädophilie einzusetzen, hatte jedoch kein Charisma. Der liebe Gott hat uns Menschen alle verschieden geschaffen. Nicht alle können die gleichen Tugenden und Begabungen haben.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Benedikt ‚typisch deutsch’ regiert habe – sehr nüchtern und rational. Was ist Ihrer Meinung nach dann ‚typisch argentinisch’ und das typisch Argentinische an Papst Franziskus?
„Typisch argentinisch“ gibt es nicht, aber der Argentinier ist durch seine Vorgeschichte und durch den Alltag anders geprägt als der Europäer. Er kann gleichzeitig an viele Sachen denken, ist sehr kreativ und kann sogar aus dem Nichts  viel machen, wenn er will. Der jammert nicht mit vollem Bauch und ist nicht melancholisch. Er kann auch viel improvisieren. Das kann ich von Papst Franziskus nicht sagen, damit habe ich nur einen ‚typischen’ Argentinier beschrieben.
Seine Nichte María Inés sagt über ihn „er ist nicht papabile“. Andere aus seiner Familie meinen, es nicht möglich, Franziskus auf „Papstkurs“ zu bringen, dafür sei er zu exzentrisch. Wie schätzen Sie diese Aussagen ein?
Die Familie kennt ihn besser als ich und sie werden schon Recht mit ihren Ausdrücken haben.
Sie sind Jüdin und großer Fan des Papstes, betont er doch stets die Relevanz des interreligiösen Austauschs weltweit. Was gibt er Ihnen als Jüdin? Und wie schätzen Sie seine mediale Wirkung über das Christentum hinaus ein?
Ich bin doch kein Fan vom Papst. Er ist doch keine Fußballmannschaft oder Rockband. Ich bin tief überzeugt von dem, was ich über ihn geschrieben und auch recherchiert habe. Papst Franziskus soll mir als Jüdin „nichts geben“, er hat mir als Mensch schon zu viel gegeben: Zuversicht, glauben, dass eine bessere Welt möglich ist, Hoffnung. Was die Christen dadurch empfinden, weiß ich nicht. Dafür sollten Sie ein Interview mit Christen führen.
Was hat Papst Franziskus bisher für den interreligiösen Austausch getan? Bemerken Sie Veränderungen in der Einstellung von Juden zur katholischen Kirche?
Er hat als Einziger in der Welt ein Buch zusammen mit einem Rabbiner geschrieben und auch zum ersten Mal das Islamische Zentrum vor Jahren in Buenos Aires betreten. Unikate für die Katholische Kirche in Argentinien. Er hat zur Diözese immer Juden, Muslime, Buddhisten oder Protestanten eingeladen.
Wie schätzen Sie seine mediale Wirkung in Asien oder Afrika ein?
Ich glaube nicht, dass man alles, was er macht, unter der Lupe der medialen Wirkung betrachten kann. Heute ist er in Kuba, danach in USA... Er ist die geistige Führung von Millionen Katholiken und muss überall hingehen. Da wo Katholiken oder Andersgläubige sind, um daraus eine Kultur und Religionsbegegnung zu etablieren.
Warum wird er auch von vielen Atheisten und Kirchenfernen bejubelt? Liegt es an seiner Volksnähe? Wenn ja, wodurch zeichnet sich diese aus?
Ein Mensch wie Papst Franziskus war und ist immer volksnah und in einem Volk gibt es auch die Begegnungskultur. Alles andere wäre eine Ghettokultur, abgekapselt, verkalkt und demodé.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass konservative Kritiker Franziskus Aktionismus unterstellen. Wird es einen innerkirchlichen Richtungskampf um den Ritus geben?
Ja, Nicht-Gönner gab, gibt und wird es immer geben, die das „Aggiornamento“ kritisieren, weil sie nicht imstande wären, mit einem ‚open-your-head’ zu handeln.
„Wenn dieser Mann so weitermacht wie bisher, wird er den religiösen Bereich transzendieren und zu einer moralischen Instanz werden wie Nelson Mandela, Martin Luther King und Mahatma Gandhi“, schrieb die spanische Zeitung „El Pais“. Kann Papst Franziskus solche medialen Erwartungen erfüllen oder nur an ihnen scheitern?
Meiner Ansicht nach wird Padre Jorge bestimmt in der Geschichte bleiben. Scheitern wird er nie. Ich bin Jüdin, das dürfte ich daher nicht sagen, aber: ist Jesus gescheitert?
Für Ihr Buch haben Sie auch Santiago de Estrada interviewt, der bekennender Katholik ist und ehemaliger Botschafter beim Vatikan und Sozialminister in verschiedenen argentinischen Kabinetten war. Er spricht von einem „ungeheurem Vorteil“ von Jorge Bergoglio: „Er verfügt über eine außergewöhnliche Begabung und hat keine Angst.“ Wie wichtig schätzen Sie dies für die tägliche Arbeit von Papst Franziskus und für die mediale Berichterstattung über ihn ein? Auch vor dem Hintergrund, dass der zurzeit so gefeierte Papst zukünftig vielleicht auch einmal medialen Gegenwind erfahren könnte.
Dass Papst Franziskus keine Angst hat, ist schon bekannt. Einmal fragte ich Emilie Schindler, deren Biographin ich auch bin, ob sie vor den Nazis bei der Rettung der 1.200 Juden Angst hatte. Sie antwortete: Ich hatte keine Angst. Angst ist immer ein schlechter Begleiter. Ich glaube kaum, dass Papst Franziskus sich vor den Medien bangt, was man über ihn sagen oder schreiben könnte. Er ist völlig überzeugt von dem, was er tut und macht es daher aus ganzem Herzen.

Man müsse Politik als „eine der höchsten Formen der Nächstenliebe“ wiederentdecken, hat Bergoglio gefordert. Wie ist das aus Ihrer Sicht einzuschätzen?
Am 28.03.1995 hatte ich einen Empfang bei Frau Dr. Rita Süssmuth in Bonn. Bei unserem Gespräch sagte sie zu mir: Frau Rosenberg, Sie haben ein sehr interessantes politisches Buch geschrieben über Emilie Schindler. Ich erwiderte sofort, dass das Thema Schindler für mich kein Politikum sei, sondern die moralische Aufgabe von zivilcouragierten Menschen, Unterdrückte zu retten und zu unterstützen. Ich denke heute genauso. Ich glaube, nicht alles ist Politik!
Sie schreiben, dass Papst Franziskus für Sie die Hoffnung auf eine bessere Welt ist. Wie sieht diese bessere Welt aus und was kann der Papst dazu beitragen?
Diese Welt scheint in jedem Moment zu explodieren, denn der Mensch hat immer noch nicht verstanden, dass Kriege nur zur Zerstörung der Menschheit führen. Martin Buber hat gesagt: Da, wo das Wort scheitert, beginnt der Krieg! Daher müssen wir immer weiterhin miteinander reden und uns verständigen. Das ist eben, was Papst Franziskus tut.

http://sinnstiftermag.de/ausgabe_20/titelstory.htm