Prof. Erika Rosenberg (M.) hat ihre Ausstellung über Schindlers Vermächtnis am Bohnstedt-Gymnasium eröffnet. Im Hintergrund die Namen der geretteten Juden. Foto: Rüdiger Hofmann Die Aula des Bohnstedt-Gymnasiums ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Knisternde Spannung und erwartungsvolle Gesichter prägen die Szenerie, als die 62-jährige Professorin aus Buenos Aires in Begleitung ihres Mannes den Saal betritt. Die Gymnasiasten bereiten der Historikerin und Journalistin Erika Rosenberg einen warmen, herzlichen Empfang.
In den folgenden 90 Minuten kommt keiner der Schüler auf die Idee, seinen Platz zu verlassen. Die herzliche Atmosphäre zu Beginn weicht einer Beklemmung. Die Schüler wirken bestürzt und fassungslos über das, was sie von der Rednerin erfahren. Im Mittelpunkt steht die Lebensgeschichte von Oskar und Emilie Schindler, ein Unternehmerpaar, das 1300 Juden vor dem sicheren Tod durch die Nazis rettete. "Emilie Schindler stand zeitlebens im Schatten ihres Mannes, obwohl sie in gleichem Maße an der Rettung der Juden beteiligt war", berichtet Erika Rosenberg. Sie selbst ist Tochter jüdischer Emigranten, die 1936 aus Deutschland über Paraguay nach Argentinien fliehen mussten. "Emilie war das Gegenteil zu Oskar, einem zwar charmanten Lebemann und wohlhabenden Schönling, der jedoch kein Verhältnis zu ordentlicher Arbeit fand." Emilie hingegen sei eine stolze, verletzliche Frau gewesen, die aber die zahlreichen Affären ihres Mannes ertragen hat. So unterschiedlich die beiden im Wesen waren, so einig waren sie sich, wenn es in der NS-Zeit um die Rettung von Menschen ging.
Als Erika Rosenberg 1990 über die deutsche Botschaft Emilie Schindler kennenlernt, wirkt diese verbittert, lebt verarmt in Argentinien. Ehemann Oskar, mit dem sie nach dem Krieg aus Furcht vor Repressalien nach Argentinien gegangen ist, hat sie verlassen, ist nach Deutschland zurückgekehrt und dort verstorben.
Emilie Schindler ist zunächst skeptisch, als Erika Rosenberg bei ihr auftaucht. "Ich brauchte Zeit, das Misstrauen zu überwinden", sagt die Professorin. Aus den ersten Gesprächen entsteht aber bald tiefe Freundschaft. Es folgen zahlreiche Interviews. "Mehr als 70-stündige Gespräche habe ich im Zeitraum zwischen 1990 und 2001 mit Emilie geführt", sagt Erika Rosenberg. Emilie berichtet ihr aus ihrem bewegten Leben. Und da wird klar, dass sie wesentlich mehr geleistet hat, als bisher bekannt geworden ist. Wie sie kurz vor Kriegsende in Brünnlitz 120 Juden eines Todestransportes als Arbeiter aufnimmt, um sie vor dem KZ zu retten. Wie sie heimlich Medikamente und Lebensmittel besorgt. Wie sie gemeinsam mit ihrem Mann 1942 ein Arbeiterwohnlager für die Beschäftigten seiner Fabrik einrichtet. Wie sie nach Kriegsende von den geretteten "Schindler-Juden" unterstützt wird. Und wie Emilie schließlich vergessen und die Geschichte von Steven Spielberg im berühmten Film "Schindlers Liste" ohne sie vermarktet wird. "Der Regisseur hält sie fälschlicherweise für eine der Überlebenden", sagt Rosenberg. An den Filmeinnahmen wurde sie laut der Historikerin nie beteiligt. Emilie Schindler verbringt ihren Lebensabend in Deutschland. Sie stirbt 2001 nach einem Schlaganfall bei Berlin.
"Der Anteil von Emilie Schindler an der Rettung der Juden war mir bisher völlig unklar", sagt Julia Müller, Zehntklässlerin am Bohnstedt-Gymnasium. Hanna Friedrich fand an dem Vortrag beeindruckend, wie intensiv sich Erika Rosenberg bis heute mit der Geschichte auseinandersetzt. Beide Schülerinnen hatten schon Vorkenntnisse über die Thematik durch den Film, doch dort wird Emilie nicht im gleichen Maße gewürdigt wie ihr Mann Oskar.
Erika Rosenberg hat all das dokumentiert und in Büchern wie "In Schindlers Schatten" oder "Ich – Emilie Schindler" für die Nachwelt aufbereitet. Während ihres Vortrags zitiert sie immer wieder daraus und erzählt bewegende Details. "Frau Rosenberg hat einen Schatz aus dem Leben der Schindlers gehoben", würdigt Carsten Saß, Bildungsdezernent des Landkreises Dahme-Spreewald. Und Dietmar Becker von der Ninnemann-Stiftung appelliert an die Gymnasiasten: "Nun ist es an euch, diesen Schatz auszupacken und Schlüsse daraus zu ziehen."
Erika Rosenberg sieht sich als "bescheidenes Sprachrohr" der Geschichte des Unternehmerpaares. "Mit meinen Dokumenten will ich vor allem Zivilcourage und den Mut nachfolgender Generationen stärken", so die Publizistin. Getreu den Eingangsworten des Bildungsdezernenten: "Es kommt nicht immer auf Heldentum an, aber jeder muss wissen, was er bereit ist, für die Gesellschaft zu tun", so Carsten Saß.
Die Ausstellung mit der kompletten Namensliste der geretteten "Schindler-Juden" ist derzeit in den Räumen des Bohnstedt-Gymnasiums zu sehen. In Planung ist eine baldige Verlegung in die Kulturkirche von Luckau.
Zum Thema: Prof. Erika Rosenberg kämpft akribisch um den Verbleib der "Schindler Liste" in einem deutschen Museum. Vor zwei Jahren sollte die Liste in New York für drei Millionen US-Dollar versteigert werden. Für die Professorin eine "Schande". Sie konnte die Versteigerung verhindern. Inzwischen gibt es in Kalifornien bereits neue Interessenten für den Erwerb der Liste. Im Luckauer Bohnstedt-Gymnasium hängt derzeit eine Nachbildung von "Schindlers Liste" mit den Namen der geretteten 1300 Juden.
Emilie Schindler Foto: dpa-Archiv Oskar Schindler (1967) Foto: dpa http://www.lr-online.de/regionen/luckau/Das-neue-Bild-der-Emilie-Schindler;art1062,4324406