„Gegen das Vergessen unbesungener Helden"
Lesung in der Stadtbücherei
Donnerstag, der 14. November 2013. Prof. Erika Rosenberg macht Station in der Landstuhler Stadtbibliothek, eingeladen von der Gleichstellungsbeauftragten Elvira Schlosser und Eva Graf, der Leiterin der Stadtbücherei. Sie liest aus ihrem Buch "Ich, Emilie Schindler – Erinnerungen einer Unbeugsamen". Es handelt sich um eine von ihr verfasste Biografie der Witwe von Oskar Schindler. Jener Oskar Schindler, der während des zweiten Weltkriegs etwa 1200 Juden das Leben rettete. Der Hollywoodfilm "Schindlers Liste" von Steven Spielberg von 1993 brachte diese Begebenheit der Welt ins Bewusstsein. Und hätte Spielberg es richtig gemacht, dann wäre diese Lesung mit Sicherheit anders ausgefallen.
Eines ist ungewöhnlich und bemerkenswert: Erika Rosenberg ist nicht hier, um ihr Buch zu promoten. Vielmehr steht der Vortrag unter dem Titel „Emilie und Oskar Schindler. Gegen das Vergessen unbesungener Helden. Ihre unbekannten Helfer und Gegner.“ Den Vortrag hält sie frei, nur auf der Leinwand stehen manche Fakten, manchmal Fotos, manchmal Dokumente, welche den Vortrag belegen. Aus dem Buch liest sie gelegentlich, quasi um der 2001 verstorbenen Emilie Schindler das Wort zu verleihen. Musikalisch passend untermalt wurde der Vortrag von dem Klezmer-Trio "Duveizi". Mit Akkordeon, Klarinette und Geige traf die Musik mit ihren sowohl klagenden als auch lebensbejahenden Momenten die Stimmung auf den Punkt. Während der Musikpausen, saß die Professorin, schwieg und genoss. Ansonsten lauschten die drei Musiker der im Stehen Vortragenden. Zu Beginn des Vortrags erzählt Erika Rosenberg, wie es zu der Bekanntschaft mit Emilie Schindler kam. Sie selbst stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie, die 1935 nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze über Paraguay nach Argentinien floh. In Buenos Aires erblickte sie 1951 das Licht der Welt, zeitlich und örtlich weit entfernt vom Holocaust und dem zweiten Weltkrieg. Sie wächst zuhause zweisprachig auf, eine Tatsache, die sie ihren Eltern hoch anrechnet, und die ihr noch so manches ermöglichen sollte. Wie zum Beispiel ihre Freundschaft mit Emilie Schindler, oder den heutigen Vortrag.
"1990 war das entscheidende Jahr." Als sie damals erfuhr, dass Emilie Schindler einige hundert Kilometer südlich von Buenos Aires lebte, wollte sie diese Frau unbedingt kennenlernen. Das erste Treffen der beiden Frauen war geprägt von großer Sympathie – und dem beidseitigen Wunsch nach einem Wiedersehen. Und so kam es, dass Erika Rosenberg wirklich jedes Wochenende zu Besuch kam, solange Emilie Schindler lebte. "Es war mehr als Freundschaft; sie war für mich eine Oma, die ich nie hatte." Nach und nach erfährt sie von den früheren Begebenheiten und sie fühlt sich seither als Sprachrohr für Emilie Schindlers Geschichte.
"Emilie hat ebenso zur Rettung der 1200 Juden beigetragen wie Oskar." Der Film "Schindlers Liste" wird in dieser Hinsicht der beachtenswerten Leistung von Emilie Schindler keineswegs gerecht, zumal man die Anzahl der Szenen, in denen sie vorkommt, an einer Hand abzählen kann. Doch wie steht es um die Wahrheit?
Erika Rosenberg erzählt über das Ehepaar Schindler, über ihre gegensätzlichen Persönlichkeiten, und über ihre große Gemeinsamkeit. Der Unternehmer und Lebemann Oskar Schindler, blond, groß, stattlich, ein großer Fan von Motorrädern und Sportautos. Und auf der anderen Seite die bescheidene Emilie Schindler, die eine Nonnenschule besucht hatte. 1927 heirateten die beiden in Zwittau (Tschechien). 1935 bekam Oskar Schindler einen Job als Spion beim deutschen Geheimdienst. Seine Aufgabe bestand darin, Spione zu enttarnen, und seinem Vorgesetzten Admiral Canaris von den Gräueltaten der Wehrmacht zu berichten. Diese Tätigkeit ermöglichte ihm die Bekanntschaft von hochgestellten Nazi-Offizieren. 1939 übernahm er eine stillgelegte Emaille-Fabrik, mit der er einerseits Aufträge von der Wehrmacht erhielt. Andererseits konnte er damit durch Schwarzhandel ein großes Vermögen verdienen. Dieses Geld sollte später noch sehr wichtig sein, denn "die Nazis waren sehr korrupt". Es flossen enorm viele Bestechungsgelder, damit letztlich alle Pläne zur Rettung der Juden umgesetzt werden konnten: umgerechnete 26 Millionen Euro!
1941 lebten etwa 90000 Juden in Krakau. Nach dem Polenfeldzug besetzte die deutsche Wehrmacht Krakau und sperrte die Juden zunächst in ein Ghetto. Kurz darauf wurde das Ghetto aufgelöst, es folgten Massenhinrichtungen. Wer arbeitsfähig war kam in das Arbeitslager Plaszow. Das Leben dort war der blanke Horror. Die Nahrungsmittel waren knapp, viele waren nur noch Haut und Knochen, viele starben an Fleckfieber.
Kommandant des Lagers war Amon Göth, "eine Bestie". Einerseits kultiviert, ein Kavalier alter Schule mit Vorliebe für klassische Musik auf Schellackplatten. Andererseits ein gewissenloser Sadist, der fast täglich zum Spaß selbst Juden ermordete, zum Teil als Schießübung. Ein jüdischer Junge musste seine beiden Hunde ausführen. Als Göth feststellte, dass die Hunde den Jungen mochten, erschoss er ihn. Oskar Schindler konnte bei Amon Göth erreichen, dass man ihm Juden aus diesem KZ als Arbeitskräfte für seine Fabrik zur Verfügung stellte.
Eines Tages in der Fabrik fragte ein junges jüdisches Mädchen Emilie Schindler um Hilfe; sie sei schwanger und würde erschossen, sobald sie arbeitsuntauglich sei. Obgleich sie ihr Leben schon dadurch riskierte, dass sie sich mit Juden unterhielt, half Emilie dem Mädchen, und organisierte eine Abtreibung, die der Jüdin letztlich das Leben rettete. Dann kam ein jüdischer Arbeiter auf sie zu, dessen Brille kaputt ging, ohne die er arbeitsunfähig und damit dem Tod geweiht war. Er bekam eine neue Brille.
Mehr und mehr wurden die in Schindlers Fabrik arbeitenden Juden unterstützt, medizinisch versorgt, es wurden sogar Baracken auf dem Fabrikgelände gebaut, so dass alle jüdischen Arbeiter dort bleiben konnten und nicht am Ende des Arbeitstages zurück in die Hölle des KZ zurückgebracht werden mussten. Dazu nötig war ein unglaublicher bürokratischen Kraftakt und eine Unmenge an Schmiergeld. Und obwohl es Emilie's Initiative war, so waren es Oskars Beziehungen, die diese Hilfeleistung ermöglichten. In diesem Punkt waren sich die Eheleute Schindler einig: den Menschen musste geholfen werden.
Das Leben der Schindlers stand von nun an nur noch unter dem Vorzeichen der Rettung. Als im August 1944 das KZ Plaszow geschlossen und alle Häftlinge nach Auschwitz gebracht werden sollten, kauft Oskar Schindler kurzerhand eine Rüstungsfabrik in Brünnlitz. Er erwirkt in einem weiteren Kraftakt, dass alle seine Juden als unverzichtbare Arbeitskräfte dorthin verfrachtet werden. Es entsteht Schindlers berühmte Liste, auf der 799 Männer und 299 Frauen stehen. Größtenteils mit gefälschten Personendaten, die nötig waren, um dem Tod zu entgehen. In Abwesenheit von Oskar rettet Emilie 120 weitere Juden, die als Arbeitskräfte von einer anderen Fabrik angefordert, dann aber von dieser abgelehnt wurden. Man hätte alle kurzerhand erschossen, hätte Emilie Schindler nicht kurzentschlossen alle in Frachtwagons gesperrten, halb verhungerten und erfrorenen Menschen als Arbeiter für ihre Fabrik gefordert.
Bald darauf waren die "Schindlerjuden" erlöst. Die rote Armee war im Vormarsch, die Wehrmacht wich zurück, und mit ihr musste auch das Ehepaar Schindler fliehen. Komplett mittellos kamen die Schindlers nach Deutschland. (Im Gepäck nur eine handvoll Erinnerungsfotos, die bei dem heutigen Vortrag auf der Leinwand gezeigt wurden.) Nach ein paar Jahren verhalf die jüdische Organisation "Joint" mit einem Startgeld von 15000$ dem Ehepaar zu einem Neustart in Argentinien, wo die beiden zunächst als Gauchos eine Ranch betrieben. Nachdem diese verschuldet war, musste Oskar Schindler sie verkaufen. Das Ehepaar trennte sich, er zog zurück nach Deutschland, sie blieb zurück in Argentinien, wo sie in einem kleinen Haus leben durfte, das ihr die Organisation "Joint" hat bauen lassen. Es kam jedoch nie zur Scheidung, und auch wenn man nicht mehr zusammen lebte, so war doch eine tiefe innere Verbundenheit der beiden bis zum Schluss geblieben.
Das ursächliche Mitwirken und die große Bedeutung von Emilie Schindler bei der heldenhaften Rettungsaktion ins rechte Licht zu setzen, das war und ist Erika Rosenbergs großes Anliegen. Jedoch gegen die verlogene Hollywood-Version der Geschichte anzukämpfen, in der Emilie so gut wie nicht vorkommt, das ist eine schwere Aufgabe. Und es beschäftigte sie immer wieder die Frage, ob das Original-Drehbuch, das Oskar Schindler selbst schrieb und an den mittlerweile in Beverly Hills lebenden Schindlerjuden Pfefferberg schickte, ob dieses Drehbuch die Grundlage für diese unverschämte Ungerechtigkeit ist.
Zum Dreh des Films kam es zu Lebzeiten von Oskar Schindler nicht, zweimal wurde ein Filmprojekt gestartet und dann wieder abgebrochen. Bereits 1951 warf der berühmte Regisseur Fritz Lang die Flinte ins Korn, denn "welcher Amerikaner möchte so kurz nach Kriegsende von einem heldenhaften Deutschen erfahren?". Beim zweiten Mal waren Romy Schneider und Richard Burton für die Rollen vorgesehen, das Drehbuch stammte von Oskar Schindler. Schon die Besetzung mit Romy Schneider lässt vermuten, dass Oskars Drehbuch die wahre Rolle von Emilie zum Ausdruck brachte; die Film-Diva hätte sich mit Sicherheit auf keine Nebenrolle eingelassen. Aber auch dieses Projekt wurde nach jahrelanger Wartezeit letztlich abgebrochen. 1980 gab Pfefferberg dem Schriftsteller Thomas Keneally die Unterlagen und Informationen Schindlers weiter, der damit seinen größten Erfolg erstellte: den Roman "Schindler's Ark".
Oskar Schindler bat Pfefferberg, dem er einst das Leben rettete, mehrmals, ihm seine Unterlagen wieder zurückzuschicken. Vergebens. Oskar Schindler starb 1974 in Hildesheim, völlig verarmt. Emilie erfuhr davon erst später durch die argentinische Presse. Erst viel später konnte Erika Rosenberg durch intensive Nachforschungen das Manuskript in einem Archiv in Texas ausfindig machen. Wie vermutet hat Oskars Originaldrehbuch die Taten der Emilie Schindler gewürdigt; Erika Rosenberg belegt das mit Zitaten aus seinen Unterlagen. Das Drehbuch für den späteren Film von Steven Spielberg fiel einer profitorientierten Oberflächlichkeit zum Opfer. Und während andere in Amerika mit Schindlers Aufzeichnungen zu Geld und Ruhm kamen, blieben Oskar und Emilie jegliche Tantiemen versagt.
Die erste Lebenshälfte der Schindlers war von heldenhafter Selbstlosigkeit geprägt, die zweite durchzogen von Ungerechtigkeiten. Gegen ein Bollwerk von Ignoranz für die Anerkennung der Taten von Emilie Schindler zu kämpfen, auch über ihren Tod hinaus, das hat sich Erika Rosenberg auf ihre Fahne geschrieben. Und wenn die Namen so mancher Hollywood-Persönlichkeiten fallen, dann brennen ihre Augen voller Zorn und lassen vermuten, wie sehr sie deren schäbigen Charakter verachtet. Die interessiert und gebannt lauschenden Zuhörer in der Landstuhler Bibliothek hatte sie jedenfalls auf ihrer Seite. Und keiner wird vergessen, was die Heldin geleistet hat. Peter Seefried