Reutlingen
"Es war Liebe auf den ersten Blick"
Sie schrieb das Buch, aus dem Steven Spielberg "Schindlers Liste" machte. Erika Rosenberg bei "Menschen und Themen": Beide Eheleute, Emilie und Oskar Schindler, starben vergessen und in Armut.
ANGELA STEIDLE | 28.11.2013
Schindler-Biografin Professor Erika Rosenberg auf dem Podium der Reihe "Menschen und Themen" im Spitalhof in Reutlingen. Foto: Angela Steidle
"Ich komme selber aus Argentinien, einem Land mit Militärdiktatur", antwortet Professorin Erika Rosenberg etwas entrüstet auf die Fragen, welche Bedeutung der Holocaust für die jüdische Bevölkerung hat und ob es eine Kollektivschuld gibt? Erika Rosenberg: "Vernichtung, Unterdrückung, Mord - es ist eine Pathologie. Aber: Wo gab es keinen Völkermord? Leid ist Leid! Das ist keine persönliche Sache der Juden. Spielt die Perfektion, mit der es geschieht, eine Rolle, wenn Menschen dabei umkommen? Deutschland ist das einzige Land, das Selbstkritik geübt hat. Das sage ich als Jüdin. Vergeben ja, aber nicht vergessen. Ich bin hier im Heimatland meiner Eltern auf dem Weg der Versöhnung." Schindler-Biografin Erika Rosenberg ist Geschichts-Wissenschaftlerin und bildet im Auswärtigen Amt in Buenos Aires Diplomaten aus.
Die Eltern der Schriftstellerin Erika Rosenberg ("Schindlers Liste") waren deutsche Juden wie Emilie und Oskar Schindler. Als Einwanderer in Argentinien führten sie ein einsames Leben, wie so viele NS-Flüchtlinge. Ihre Vergangenheit schwiegen sie tot, auch ihrer Tochter gegenüber. Trotzdem wuchs Erika Rosenberg zweisprachig auf. Ihr Deutsch, in zurückhaltenden, dünnen Worten, ist nahezu perfekt. Erst 1990, nach dem Tod ihrer Mutter, fing die Geschichts-Professorin, Schriftstellerin und Journalistin an, nach ihrer Vergangenheit zu suchen. Ein Hinweis aus der Redaktion führte sie in ein unscheinbares Dorf nahe Buenos Aires, wo Emilie Schindler in völlig verarmten Verhältnissen lebte. "Es war Liebe auf den ersten Blick", erzählt Schindler-Biografin Erika Rosenberg auf dem Forum der Reutlinger Veranstaltungsreihe "Menschen und Themen" im Spitalhof.
Völlig fasziniert von der willensstarken, mutigen Frau an Oskar Schindlers Seite, machte sich Erika Rosenberg auf den Weg und fand "Schindlers Liste". Wie sie zum ambivalenten Charakter des Oskar Schindler stehe?, fragte Moderator Bernhard Bosold: "Ich sehe ihn als Mensch. Ob er getrunken hat, Frauen liebte oder als Abwehrmann der NSDAP seinen Einfluss geltend machte - wichtig ist, dass er Leben gerettet hat. Und nicht nur Juden!"
Bis 1935, so die Biografin, hatte der Fabrikant relativ bequem von der Mitgift seiner Frau Emilie gelebt. Bis er sich von einer Affäre als Agent werben ließ. "Emilie gefiel das gar nicht. Aber sie hat ihn unterstützt und dabei selber Menschen gerettet. Mir zerbrach das Herz, als ich diese Geschichte zum ersten Mal aus ihrem Munde hörte."
Im Oktober 1999 auf der Buchmesse in Frankfurt erfuhr Erika Rosenberg davon, dass auf einem Speicher in Hildesheim ein Koffer mit mehr als 10 000 Dokumenten aus Schindlers Nachlass gefunden worden war. Sie sollte die Papiere zu Emilie nach Argentinien zurückholen. Als Erika Rosenberg mit ihrer Mission in Stuttgart ankam, hatte sich der lange Arm von Yad Vashem, der Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust, bereits der Dokumente bemächtigt. Was blieb, war eine Handvoll Kopien. Erika Rosenberg: "Bis heute ist kein einziges Dokument öffentlich ausgestellt worden. Schindlers Liste ist eines der wichtigsten Dokumente aus dieser Zeit."
Die Hollywood-Inszenierung als Kassenschlager: "Die Fakten und die Wahrheit sind eine andere Geschichte. Emilie hat 1994 einen Prozess gegen die Universal Filmgesellschaft und Steven Spielberg geführt. Das Vorgehen ihr gegenüber war eine Beleidigung." Nur den Kopf schütteln kann die Biografin über ein aktuelles Versteigerungs-Angebot aus Kalifornien auf Ebay: Oskar Schindlers Liste für drei Millionen Dollar.
Die 500 Mark, die Emilie Schindler von Bundespräsident Roman Herzog ab 1995 als Rente zugesprochen bekam, plus 30 Dollar monatlich aus Israel und 300 Pesos vom argentinischen Staat, reichten für eine auf Hilfe angewiesene alte Frau hinten und vorne nicht. Emilie Schindlers letzter Wunsch war: "Sie wollte nach 50 Jahren ihren Lebensabend dort verbringen, wo Deutschland groß ist - in Bayern."
Erika Rosenberg organisierte im Juli 2001 die Heimkehr - und bezahlte drei Monate später die Beerdigung. Auch dafür wollte sonst keiner aufkommen.